Hugo Schuchardt an Jakob Jud (101-HSJJ32)
von Hugo Schuchardt
an Jakob Jud
09. 02. 1922
Deutsch
Schlagwörter: Hugo-Schuchardt-Brevier Grimm, Jakob/Grimm, Wilhelm (1854–1961) Steiner, Herbert (1922) [o. A.] (1921–1923) Bertoni, Giulio (1925)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Jakob Jud (101-HSJJ32). Graz, 09. 02. 1922. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8581, abgerufen am 01. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8581.
Graz, 9.2.‘22
Liebes verehrtes Ehepaar,
Gestatten Sie daß ich Sie, der Kraft- und Zeitersparnis wegen, zunächst in dem Ausdruck meiner tiefen Dankbarkeit zusammenfasse. Beiden ist gemeinsam mich zu überschätzen. Sie, verehrte Frau,1 überschätzen entweder meinen Magen oder meine Lebensdauer; ich tue aber mein Möglichstes um diesen Irrtum zu verringern – so oft ich an einem gewissen Kästchen vorübergehe, verzehre ich ein Mumpel2 zu Ihrem Andenken. Da ich von einer gewissen Sache „nie ein Wort“ reden soll, so will ich mich auf ein Dutzend ausdehnen: mit einem Kronenwagen3 reist man viel rascher als auf einem Rappen. Doch bin ich noch sehr weit vom Ziel.
Sie, lieber Freund, überschätzen mich |2| in geistiger Hinsicht; aber Sie haben mich gegründet – das ist keine leere Redensart – und Gründer überschätzen immer ihre Gründungen. Ich habe, sobald ich das Verzeichnis der Großherzigen zu Gesicht bekommen habe (das ganze Brevier steht noch aus, vielleicht infolge des Eisenbahnerstreiks),4 je ein Exemplar des beifolgenden Kärtchens mit meiner Unterschrift abgeschickt, freilich ohne Angabe der Adresse, die mir ja meistens unbekannt war. Doch glaube ich meistens einen Titel wie Professor hinzugesetzt zu haben. Aber ein Name wie G. Huber ist in Zürich wohl verbreitet. Ein wenig nimmt es mich wunder daß der Name Bridel nicht im Verzeichnis vertreten ist; er ist doch die Firma einer angesehenen Druckerei, und ich stehe immer noch mit den Leuten in einer ge- |3| wissen Beziehung. Wenn Sie übrigens zufälligerweise erfahren sollten daß der oder jener mein bescheidenes Dankeszeichen nicht erhalten habe, so bitte ich Sie es mir mitzuteilen. Hubschmied5 ist der letzte der es erhält; ich wollte ihm eigentlich Schreiben, aber es geht nicht, meine Augen spielen mir immer lose Streiche. Grüßen Sie ihn vielmals von mir; ich danke ihm herzlichst für seinen Aufsatz in der NZZ.6 H. Steiner hat mir den seinigen schon vor einigen Tagen in Handschrift zukommen lassen; er befriedigt wenigstens mich selber sehr;7 ich bilde ja wohl die erste Stufe seiner literarischen Laufbahn (oder hat er schon seinen Vortrag über Frey drucken lassen?).8 Eine Menge Gedrucktes liegt um mich herum, das mich in verschiedener Weise interessiert, so eine Widmungsschrift von der rumänischen Akademie (deren ältestes Mitglied ich bin) aus der Feder Puşcarius: Din perspectiva Dicţionarului,9 dann |4| Jabergs Abhandlung,10 das wundervolle Spécimen des Wörterbuchs,11 die Linguistica II3 Bertonis,12Le Langage von Vendryes,13 das Journal de Psychologie Okt.Nov. 1922 (Psychologie du Langage) und anderes, was natürlich nicht in Zusammenhang mit mir steht. – Ich muß hier abbrechen, ich fühle mich sehr ermüdet, und bin nicht mehr Herr meiner Feder. Ich habe Ihnen noch so Vieles zu sagen u. A. auch in bezug auf den die Metrik betreffenden Nachlaß Cornu’s.14 Ob sich nicht etwa in der Schweiz ein junger Mann fände der sich dafür interessierte und energisch genug wäre, den allzureichen Stoff (Tabellen!) zu verdichten und zur Herausgabe vorzubereiten.
Nochmals tausend tausend Dank an Sie beide!
Ihr treu ergebener
HSchuchardt
1 Anna Maria geb. Hunziker aus Zürich. Vgl. ihren Geburtstagsbrief HSA 05232 (30.1.1922).
2 Wohl gem. „Mumpfel“, oberdt. für „Mundvoll“ ( DWB 12, 2668).
3 Meist „Kronwagen“, bei der Kaiserkrönung der Wagen, der die Reichsinsignien führte ( DWB 11, 2392).
4 In der Erstausgabe des Hugo Schuchardt-Breviers (1922) findet sich gleich zu Anfang die Namensliste derjenigen, die „durch opferfreudige Unterstützung das Erscheinen dieses Huldigungsbandes ermöglicht haben“. Da die Vornamen stets abgekürzt sind, ist die Identifikation nicht immer leicht, auch wenn es sich vielfach um bekannte Romanisten handelt.
5 Johannes Hubschmied (1881-1966), Schweizer Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 04874-04891.
6 Abrufbar über HSA, Würdigungen und Nachrufe, Zum 80. Geburtstag von J. U. Hubschmied (ohne nähere Angaben von Nummer, Datum und Seite der NZZ, allein der Hinweis „Feuilleton“).
7 Steiner, „Zu Hugo Schuchardts 80. Geburtstag“, ZrP 42, 1922, 2-4.
8 Steiners Nachruf „ Adolf Frey zum Todestag “ erschien in Schweizerland 7, 1921, 129-131.
9 Cluj Ardealul 1922.
10 Karl Jaberg, „ Dreschmethoden und Dreschgeräte in Romanisch Bünden “, Bündnerisches Monatsblatt: Zeitschrift für bündnerische Geschichte, Landes- und Volkskunde 2, Februar 1922, 33-58 (mit mehreren Erwähnungen Schuchardts).
11 Vermutlich ist gem. Dicziunari rumantsch-grischun , publ. da la Società Retorumantscha.
12 Biblioteca dell' "Archivum Romanicum", diretta da Giulio Bertoni, Ser. 2, Linguistica.
13 Joseph Vendryes, Le langage; introduction linguistique à l'histoire , Paris: La Renaissance du Livre, 1921.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Jaberg-Archiv, Universität Bern (Institute für Romanische Sprachen und Literaturen und Jaberg-Bibliothek). (Sig. HSJJ32)