Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (060-01097)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

24. 11. 1883

language Deutsch

Schlagwörter: Networking Koninklijk Bataviaasch Genootschap van Kunsten & Wetenschappen Biblioteca Nacional (Spanien) Politik- und Zeitgeschichte Société Académique Indo-Chinoise de France Universität Graz Universität Wien Universität Leidenlanguage Spanischbasierte Kreolsprache (Philippinen)language Küchenböhmisch Schetelig, Arnold Robidé van der Aa, Pierre Jean Baptiste Charles Musschenbroek, S.C.J.W. van Dozy, Reinhart Pieter Anne Jagor, Andreas Fedor Pardo de Tavera, Trinidad Hermenegildo Sancianco, Gregorio Schuchardt, Hugo (1884) Schetelig, Arnold (1869) Sancianco, Gregorio (1881)

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (060-01097). Leitmeritz, 24. 11. 1883. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.856, abgerufen am 01. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.856.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


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Leitmeritz d. 24. Nov. 1883

Muy Sr. mio y estimado amigo:

Habe gestern mich herzlich gefreut, als Ihre Corresp. Karte mir übergeben wurde, denn als ich in den Zeitungen von Miklosić'1 Jubilaeum2 las, wurde es mir recht bange zu Muthe, ich dachte mir die creolischen Studien pcto Filipinas sind beendet, mit der Lieferung böhmischer Dalken3 ist es auch nun vorbei und somit hätte ich nun keine Gelegenheit mehr Ihnen zu schreiben. Aber unverhofft kommt oft, daher lasse ich den armen linkshändigen Rodrigo de Oviedo leben, hoch leben, denn ohnedies wird er als guter Sohn der römischen Mutter gewiss von San Pedro in den Himmel gelassen worden sein.

Das Manuscrit befindet sich in den Händen des Augustiner Provinzials der böhmischen Ordensprovinz zu Prag-Kleinseiter, Thomasgasse, Kloster S. Thomas (in dessen Kirche ich getauft worden bin und dessen köstliches Bier ich als Studio sehr gerne getrunken habe). Schreiben Sie nicht eher, als ich von einem befreundeten Augustiner-Professor aus Leipa alle Titulaturen des P. Provincial bekommen, denn dieser hält ungemein viel darauf, insbesondere auf das "Phil. Cand."! Er ist ein Sonderling, kurz angebunden, mitunter s-grob, mitunter wieder burschikos, kurz wie alle Sonderlinge im Grunde seines Herzens ein ganz guter Kerl (Der P.S. Agustin verzeihe meine Grobheit!)

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Sollte der kleine Mönch – was ich aber für unwahrscheinlich halte – Schwierigkeiten machen (z.B. wenn's Bier nicht schmeckt), so wird Hofrath Hoefler ihn weich stimmen. Übrigens ist so etwas nicht zu befürchten, behielt ich doch das Mspt. länger als 2, ich glaube sogar drei Jahre!

Adressen für creolische Studien:

- R. Rost4, Bibliothekar des Indischen Amtes

London, India Office

- Dr. I. Schetelig5 Homburg v.d.H.

Bitte diese Sendung mit der Francatur für das Ausland zu versehen, den[n] Sch. bringt den Winter in Italien oder Südfrankreich, meist in Nervi zu. Sch. brachte Jahre in Ostasien zu, brachte dann schöne Skelette von den Philippinen und Vocabulare von mehreren malaiischen Dialectstämmen der Insel Formosa heim.6 Er ist jetzt sehr kränklich, auch hat er einen bedeutenden Theil seines in China erworbenen Vermögens durch einen Bankerott eingebüsst, nimmt aber trotz alledem an allen Ostasien betreffenden linguistischen, ethnographischen u. anthropologischen Studien den lebhaftesten Antheil. Er ist eine sehr sympathische Persönlichkeit.

Nicht auch recommandieren?

- P.J.B.C. Robidé van der Aa7

Haag

- S.C.J.W. van Musschenbroek8

Leiden

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- Bataviaasch Genootschap van Kunsten & Wetenschapen9

Batavia

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Musschenbroek kenne ich sonst nicht weiter, als dass Hofr. Meyer mir rieth ihm mein Vocabular einzusenden, da er sich besonders mit derartigem Genre befasse, dasselbe schrieb mir Prof. Dozy10. Geantwortet hat er mir aber bis heute noch nicht.

Die Spanier, die ich kenne, sind alle des Deutschen mehr oder weniger unkundig, Sie könnten aber jedenfalls meiner Bitte willfahren und der Biblioteca nacional11 ein Exemplar schenken, ebenso möchte ich bitten der Société Académique Indo-Chinoise ein Geschenke zumachen per Adresse

Marquis de Croizier

Paris

10 boulevard de la Saussaye

Parc de Neuilly

Nicht umsonst würden Sie ein Exemplar dem Philippinenforscher

Dr. F. Jagor

Berlin

Blumeshof 3

senden.

ex.

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Mit Pardo de Tavera stehe ich jetzt in lebhaftem Verkehre, er ist so ein kleiner Freund der Pronunciamientos und ich suche ihn hievon zu bekehren, die Briefe sind beiderseits sehr diplomatisch gehalten, denn offen bekennt er nicht Farbe und ich kämpfe so recht mit Dreschflegeln, als ob ich seine Neigungen nicht durchschaute. Die Spanier sind liebe Kerle, aber entsetzliche Wirrköpfe in der Politik, denken sie sich, er schreibt mir auf meinen entrüsteten Brief (Alfonso-Paris)12, wenn er Franzose wäre, er hätte auch mitgepfiffen, die Antwort, die ich ihm gab, war durchaus nicht schmeichelhaft, aber er ist als Caballero darüber hinweggegangen. Von ihm erfuhr ich, dass Dr. Sancianco13, der Verfasser eines mit phantastischen Reformplänen getränkten Werkes über die Philippinen, ein chinesischer Mestize wäre. -------------

Leben Sie wohl und gedenken Sie manchmal

Ihres getreuen

F. Blumentritt


1 Franz von Mikolsich (1813-1891), bedeutender Slawist. Student und später Professor für Philosophie an der Universität Graz (bis 1839), Professor für slawische Sprachen an der Universität Wien (1849-1886). Im Nachlass Schuchardts existieren zwölf Briefe Miklosichs (Briefe Nr. 07369-07380).

2 Schuchardt widmete Miklosich zum 70. Geburtstag sein Werk über das Slawo-Deutsche und Slawo-Italienische (Schuchardt 1884a), in das Blumentritts zahlreiche böhmischen Beispiele eingeflossen sind.

3 Dalken: eigentlich böhmische Mehlspeise, Blumentritt verwendet den Begriff scherzhaft für küchenböhmische Beispiele, die er Schuchardt regelmäßig schreibt.

4 S. FN zu Brief Nr. 1054.

5 Hier muss Dr. A. Schetelig gemeint sein. Arnold Schetelig (1835-1900), deutscher Mediziner und Ethnograph, Ostasienexperte. Veröffentlichte 1869 On the natives of Formosa.

6 In diesem Satz sind die Verben „bringt“, und zweimal „brachte“ (die unterschiedlich verwendet werden) von Schuchardt rot unterstrichen.

7 Pierre Jean Baptiste Charles Robidé van der Aa (1832-1887), niederländischer Indonesienforscher und Geograph. Beschäftigte sich wissenschaftlich mit den niederländischen Kolonien und veröffentlichte unter dem Pseudonym Robrecht van Peene.

8 S.C.J.W. van Musschenbroek (1827-1883), niederländischer Jurist, lebte von 1855-1876 als Richter und Biologe auf Ternate. Erster Direktor des Museums der Kolonialen Vereniging. Galt als Experte für Niederländisch Indien (Indonesien). Als Blumentritt Schuchardt den Kontakt vermittelt, war Musschenbroek bereits verstorben (7. November 1883).

9 Im Nachlass Schuchardts existieren 13 Briefe der Bataviaasch Genootschap van Kunsten & Weterschapen (Briefe Nr. A0156-A0168), allerdings ist der erste schon aus dem Jahr 1882.

10 Vermutlich Prof. Reinhart Pieter Anne Dozy (1820-1883), niederländischer Orientalist und Historiker an der Universität Leiden.

11 Spanische Nationalbibliothek in Madrid.

12 1883 unternahm Alfonso XII. eine Reise durch Mitteleuropa. Vermutlich wird hier auf einen Vorfall angespielt, bei dem der König in Paris ausgepfiffen wurde.

13 Gregorio Sancianco (1852-1897), philippinischer Jurist in Manila und Madrid. Reformator, Kritiker der spanischen Kolonialmacht, Vorläufer Rizals. Autor von El progreso de Philippinas (1881).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01097)