Hugo Schuchardt an Jakob Jud (60-HSJJ15)

von Hugo Schuchardt

an Jakob Jud

Unbekannt

1919

language Deutsch

Schlagwörter: Zeitschrift für romanische Philologie Schuchardt, Hugo (1919) Gilliéron, Jules (1919)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Jakob Jud (60-HSJJ15). Unbekannt, 1919. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8540, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8540.


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[Anfang fehlt, undatiert; vermutlich Juni-Juli 1919]1

Ich sehe daß ich meine Wanderungen in der Vergangenheit heute nicht zum Abschluß bringen kann, und will, so lang ich „noch wandle im rosigen Licht“, ein paar Sehnsuchtsseufzer ausstoßen. Daß ich bei meinem körperlichen Zustand und bei den trostlosen Verhältnissen unseres Landes und unseres Volkes fast immer an den Tod denke, wird man nicht als Wirkung besonderer Schwermut auffassen. Mein Wunsch „in den Sielen zu sterben“ wird wohl ebenso wenig wie der gleiche Bismarcks nicht in Erfüllung gehen. Wie schön wäre es wenn einem mitten im Niederschreiben einer Etymologie die Feder entsänke. Allerdings hätte ich ja noch Manches zu sagen, aber doch eigentlich nur Kleinigkeiten. Einige solche sandte ich kürzlich an Hilka,2 und davon würde eine Sie interessieren. Ich glaube daß puscha, puschina u. ä. ein allgemeiner Koseruf an verschiedene Haustiere und auch an Menschen sind (putscherl, boschel, moschel, puss, pusselchen, pussi, pusinna …). Aber ich konnte das, bei meinem Geschau und meiner Schwerfälligkeit nicht weiter verfolgen. Immerhin können Sie Ihre Feder einstweilen wetzen. Ich lasse mich jetzt nur noch auf Wortformen ein, die keinerlei Aufputz tragen oder noch kürzer |2| gesagt, nur auf ganz allgemeine Probleme. Der Bankrott der phonetischen Etymologie3 schwebt mir immer noch als wünschenswerte Gabe vor. Geld kann ich dafür nicht geben; wir haben keines das etwas wert wäre, aber vielleicht kann ich mit irgend einem in meinem Besitz befindlichen und doch entbehrlichen Buche Ihnen eine Gegengabe bieten. Übrigens wäre selbst dieses Gilliéronsche Buch entbehrlich insofern als ich mich ganz in die Ursyntax gestürzt habe. Anfang und Ende sind ja korrelat. Schließlich habe ich nur einen wirklich großen Wunsch der sich aber den Umständen nach schwer verwirklichen läßt. Ich möchte es erleben meine Bek. u. Erk. gedruckt zu sehen und von allen Mißdeutungen seitens der Alldeutschen und seitens der Unnationalen gesichert. Ich habe kürzlich an die Neuphil. Mitt. in Helsingfors eine Notiz gesandt mich gegen den Vorwurf einer chauvinistischen Phrase zu verteidigen, den mir Tallgren gemacht hat. Sie wird im nächsten Heft erscheinen.

Also, vielleicht schon morgen das Übrige.
Leben Sie wohl! Herzlichst Ihr

HSchuchardt


1 Schuchardts „Bekenntnisse und Erkenntnisse“, von denen im Brief die Rede ist, erschienen in Wissen und Leben 5, XIII. Jg., 15. Dez. 1919. In Anm. 1 heißt es: „Das Manuskript von Hugo Schuchardt, abgeschlossen am 31. Mai, kam infolge verschiedener Umstände erst am 23. August bei uns an. Wegen seiner Länge musste es wiederholt zurückgelegt werden, denn ich möchte es nicht in zwei Teile zerreißen“. Dies legt als Datum den Sommer 1919 nahe.

2 Alfons Hilka (1877-1918), als Nachfolger Gröbers Hrsg. der ZrP.

3 Jules Gilliéron, La faillite de l'étymologie phonétique: résumé de conférences faites à l'école pratique des hautes études. Étude sur la défectivité des verbes, Neuveville: Beerstecher, 1919.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Jaberg-Archiv, Universität Bern (Institute für Romanische Sprachen und Literaturen und Jaberg-Bibliothek). (Sig. HSJJ15)