Hugo Schuchardt an Jakob Jud (45-HSJJ07)

von Hugo Schuchardt

an Jakob Jud

Graz

06. 09. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Kiellanguage Sorbisch Schuchardt, Hugo (1925) Schuchardt, Hugo (1906) Larramendi, Manuel de (1729) Heinimann, Siegfried (Hrsg.) (1972)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Jakob Jud (45-HSJJ07). Graz, 06. 09. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8525, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8525.


|1|

Graz, 6.9. ‘17
1842 – 1859
[1851-’52 Quarta, ‘52-54 Tertia
’54-56 Secunda, ’56-58 Prima
’58-Herbst ’59 Selecta]

L. Fr.

Ich setze meinen Brief vom 1/3 9 fort.1

Im Anschluß an das zuletzt Gesagte, möchte ich bitten über meine französische Aussprache doch nicht allzuschlecht zu denken (ich beurteile mich überhaupt aus weiter Zeitferne vielleicht eher zu pessimistisch als das Gegenteil); man hat öfters meinen guten „accent“ gelobt, dann und wann allerdings auch gefragt: „Monsieur est Alsacien?“ Ich glaube aber nie etwas gesprochen zu haben (à la Gyp)2, wie bas tu dout. In dieser Hinsicht ist das französische Gehör noch schlechter als die deutsche Aussprache. Und wie steht es mit den romanischen Diplomaten? D. Juan Valera’s3 Franzsösisch klang sehr spanisch; das s in rose z.B. wie das spanische s in rosa. Ich weiß nicht ob es mit Nigra4 besser stand, sprach er doch sein Italienisch mit piemontischer Aussprache (z.B. vorlesend sinque für cinque). Naturam non expelleo furca;5 es gibt notwendigeres einzutrichtern. – Wenn ich als Kind zur Belustigung Erwachsener Urine für Ruine sagte* (* Eben sagt mir Freund Pogatscher, er habe vor Jahren von einem hiesigen Bauern Urine für Ruine gehört), so war das ein Sprechfehler, der sich aus der Abneigung gegen U vók. erklärt, die sich auch in der an mehreren Orten selbständig aufgekommenen Aussprache Infulenza offenbart hat. Ein Gehörfehler aber war das crelcœur das ich Jahre hindurch aus dem von meiner Mutter in deutscher Rede häufig gebrauchten crève-cœur hörte – erst als Erwachsener entdeckte ich daß das Wort mit v geschrieben wird. Nun in meinem Alter bin ich schwerhörig genug um negative phonetische Studien machen zu können; beim Hören fremder Wörter oder Eigennamen erweise ich mich oft als dentaltaub, d. h. verhöre mich bei s, t, d, die |2| ja alle bei uns lenes und stimmlos sind. Dabei habe ich nun eine zwar nicht linguistische sondern psychologische Beobachtung von einiger Tragweite gemacht. Neulich hörte ich kurz hintereinander: Futter auf dem Eis statt Butter und Milchkasten statt Milchkarten; und ich schalt mich aus solche Unsinnigkeiten gehört zu haben. Da fiel mir ein daß [7. 9.] es mir mit meiner schließlich recht schwerhörigen Mutter ähnlich gegangen war. Leute mit gutem oder leidlichen Gehör ergänzen oder verbessern einfach das lautlich unvollkommen Aufgenommene (ähnlich geschickt ja beim Lesen); der Schwerhörige aber sieht zunächst vom Verständnis ab und denkt nur an die Aufnahme des Lautes. Für Lauterscheinungen hatte ich in meiner Kindheit kein besonderes Interesse; nur eine Metathese: du kärrscher Nerl welche zwischen mir und meinen Spielkameraden fiel, hat mir einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. – Alles dieses soll nur dartun daß mein auch in jungen Jahren nicht allzu scharfes Gehör, wozu dann später meine Neurasthenie (leichte Ermüdbarkeit, Versonnenheit udgl.) kam, mich zur Wissenschaft mehr auf dem Wege der Schrift, als dem der Rede brachte, oder ich könnte noch bestimmter sagen, die „Buchstaben“ (von Diez) führten mich zu den Lauten. Ich lernte zuerst französisch lesen und zwar bei Mme Dufrênes6|3| [so finde ich den Namen immer geschrieben; sie war wallonischer Herkunft], bei der im Sommer 1845 mein Unterricht begann. Deutsch lesen lernte ich angeblich von selbst; dann machte ich einen vorzeitigen Angriff auf das griechische Alphabet. Die Hieroglyphen aber erfreuten sich meiner höchsten Verehrung, und zwar als ich noch auf dem Boden herumkroch. Ich kannte sie eigentlich nur schwarz auf hellbraun, von der Zuckerdose meiner Großmutter, und in Stein gehauen, von dem Portal über einem Springbrunnen her – wohl gänzlich Zeugnisse der Phantasie. Später, etwa im 12. Jahre, trat ich ihnen näher, als ich Seyffarths Buch kennen lernte;7 glücklicherweise verirrte ich mich nicht allzutief in diese Verirrung. Schon von allem Anfang also spürte ich die Wirkung der Schrift in der Form, in der sie mich lange Jahre hindurch elektrisierte, als Inschrift. Dieses ist das Reizwort meiner ersten Jugend. Ich war, glaub‘ ich, neun Jahre alt, als ich einen Aufsatz (im Ausland?) über die Osterinsel [8. 9.] von rätselhaften Inschriften las und mich sofort hinsetzte um meinerseits einen Aufsatz darüber abzufassen [ich mache hier eine längere Einschaltung: sonst vergesse ich etwas was für das Verständnis meiner Arbeitsweise von Bedeutung ist. Ich bin einer der schlechtesten Leser, die es gibt – ich spreche nur von wissenschaftlicher Literatur. Aufsätze Abhandlungen von bescheidenem Umfang, dünne Hefte |4| habe ich wohl von Anfang bis zu Ende durchgelesen; dicke Bücher kaum, von fremdsprachlichen etwa abgesehen. Meine stolzeste Leistung waren Petöfis gesamte Dichtungen (700 Seiten) in der Ursprache,8 die ich hintereinander erledigte. Ich habe mich sonst viel mit dicken Büchern herumgeplagt, so z. B. bei meinem Eintritt in die Universität mit Scheidlers Hodegetik,9 wo dem Studenten gepredigt wird was er tun und lassen soll. Solche Bücher können einen gewissenhaften Menschen verrückt machen. Ich bin mein ganzes Leben lang wie die Amseln im Zickzack durch meinen Garten, so durch die Wissenschaft gesprungen und habe hie und da ein Körnchen aufgepickt. Nicht, wie ich lange gemeint habe, trägt die Neurasthenie die Schuld daran, auch nicht die Oberflächlichkeit sondern im Gegenteil der übertriebene Gründlichkeitstrieb mit dem ich ein Buch in die Hand nehme. Ich stoße bald auf etwas was ich mir nicht klar machen kann oder auf etwas was meinen Widerspruch herausfordert und bleibe entweder stecken oder verirre mich auf Seitenwege. Meine Mutter, die in ihren Tagebüchern viele, aber nur ganz kurze Sätze über mich schrieb, trägt zum Jahre 1849 nach: (der Kandidat B. bei dem ich mit einem andern Knaben in diesen Jahren Unterricht zu erhalten begann:) „schreibt: Kaum war er in die ersten Anfänge der lateinischen Sprache eingeführt, so machte er sich auf eigene Hand an die griechische Grammatik und trug sich mit dem Entwurfe einer Umarbeitung derselben herum“. Dieser grotesken Mitteilung liegt etwas Wahrs zugrunde dessen ich mich noch deutlichst entsinne. Ich beschäftigte mich mit Rosts Griechischer Grammatik,10 lange bevor mir |5| das zur Pflicht gemacht wurde, und nahm mir vor, Schritt für Schritt darin vorzurücken. Aber gleich zu Anfang stieß ich auf einen Widerspruch; es gab vier griechische Hauptmundarten und ebenso vier Hauptstämme, darunter die Achaier, aber ich suchte vergebens nach einer archaiischen Mundart. Fragte und stöberte herum – ohne Erfolg, und so kam das ganze Studium zum Stillstand. Ich habe meinen Mangel an geduldiger passiver Rezeptivität immer als etwas Pathologisches betrachtet und mich nicht mit Goethe zu trösten gewagt, der eigenem Geständnis zufolge kein einziges Buch zu Ende gelesen hat. Jetzt, am Ende meiner Tage, gebe ich mir Recht: die dicken Bücher können, in gewissen günstigen Fällen, durchgelesen werden (kaum aber solche wie Dittrichs Sprachpsychologie I),11 aber sie brauchen es nicht. Sie alle, nicht bloß die Wörterbücher, sind Nachschlagebücher; jeder entnehme daraus was er für seine Zwecke braucht. Warum sollte ich mich so zum Sklaven des Verfassers machen, daß ich ihm in seiner Systematik, seiner Anordnung folge? Ich wetze augenblicklich mein stumpfes Messerchen, um „Subjekt und Prädikat“, wie man so gustos sagt „anzuschneiden“ und da wandle ich durch die Parks von Humboldt, Steinthal, Wundt, Marty12 usw., und lasse rechts und links alles liegen was mich nichts angeht. – [So, und nun fahre ich in dem Unterbrochenen fort, 19.9.]

Im Sommer 1854 schrieb ich (geographischer Entfernungen und väterlicher Anschauungen zum Trotz) von Bayreuth aus an meinen Vater: „Ich |6| habe große Lust nach Miltenberg am Main zu reisen da ich zuhause von den 4 großen Riesensäulen bei Bullau auf dem Heunberg mit wunderlicher Inschrift die kein gelehrter entziffern kann, gelesen hatte“.13 Aber auch entzifferbare Inschriften, besonders wenn sie in Mönchsschrift waren, fanden Gnade vor meinen Augen, sogar Hausinschriften nach der Reformation. Darüber könnte ich mancherlei erzählen. Nur eine Kleinigkeit. Bei meinen täglichen Wanderungen ins Gymnasium (amtlich „G“ illustre, volkstümlich „das Kloster“, weil es früher ein Augustinerkloster war) sah ich kurz vor dem Eingang über meinen Häupten in dem schwarzbraunen Gemäuer eine vertiefte Inschrift die ich mich vergeblich bemühte zu entziffern. Da, an einem schönen Wintertag sah ich auf einmal die Inschrift ganz deutlich weiß auf schwarz, es hatte leise hineingeschneit, und ich las nun „anno Domini MCCL …“; kein Liebhaber ist beglückter wenn ihm sein Liebchen, zu dem er lange nach dem Gitterfenster sehnsüchtig hinaufgeschaut hat, eine Rose herabwirft. Die Inschriften waren aber schließlich doch nur der Mittelpunkt, gewiß nicht der alleinige Ausgangspunkt einer fast krankhaften Schwärmerei fürs Mittelalter. Ich entsinne mich meiner damaligen Gedanken und Gefühle noch sehr genau; zum Überfluß finde ich bei meinem Herumkramen in altem Geschreibsel – culpa tua! – ein Bruchstück: „Burgzwerges Kämmerlein (Traum eines Romantikers)“. Da heißt es: „O könnte ich einen Tag in jener Zeit leben als diese Burg noch stand!“ … „Phantasie, die du … laß mich einen Tag vor Jahrhunderten genießen!“ Usw. Der Höchststand dieser Leidenschaft fällt wohl in mein 10.-12. Jahr, wenigstens stellt dieser Zeitraum den Tiefstand meiner Schulleistungen dar. Ich hatte nichts im Kopf als das Mittelalter (und die ältere Neuzeit); des letzten Königs von Thüringen Hermanfrids Untergang ergriff mich so daß ich ihn beinahe dramatisiert hätte,14 ich lag über |7| den Chroniken von Sagittarius,15 Pfefferkorn16 u.a., über den Sagenbüchern von Bechstein usw., ich beschaute Stammbäume und Wappen, konterfeite die Grabmäler der alten Landgrafen ab, kopierte Pergamenturkunden, besuchte Ruinen (bes. die der drei Gleichen),17 forschte in der Umgegend Gothas nach Spuren der im Bauernkrieg zerstörten Dörfer usw. Aber ich war ein sehr träumerischer, unpraktischer Forscher – ich erwähne dies, weil mir bis zu einem gewissen Grade das verblieben ist – ich traute mich nicht bei Freunden mich nach dem und jenem zu erkundigen; ich fürchtete unhöfliche Antworten oder lächerlich zu werden. Ich war verschüchtert, besonders seit mein Vater sein Wort, das Geheimnis eines von mir gegründeten Vehmgerichtes zu wahren, schnöde gebrochen hatte. Nach alledem hätte die Germanistik gegründete Anwartschaft auf mich gehabt. Auch waren meine Blicke fast immer nach dem Norden gerichtet; Skandinavien, Irland, vor Allem Thule waren die Ziele meiner Sehnsucht. Das erste Buch das ich ein kleiner Knirps, von der herz. Bibliothek entlehnte, war eine Edda; bald folgte Grimms D. Myth.18 Mein Interesse am Holländischen wurde durch die holl. Aufschriften auf den Päckchen erregt, in denen mein Vater den Tabak bekam. Nun habe ich auch wirklich eine germanistische Abhandlung aus meiner Schulzeit wieder entdeckt: „Epistel an Frl. Karoline von Thümmel19 über die Walddialekte in hiesiger Gegend (Mai 1858)“.20 Die Hauptsache war mir allerdings der schöne Stil, aber einiges Bemerkenswerte steht doch darin. Ich fand Anklänge an Plattdeutsch und Englisch im Ruhlschen und Steinbachschen“. Analoges findet sich jedoch auch im Thüringer Dialekt überhaupt indem sich bei uns die englische Partizipialendung –ing in Formen wie lachening, stehning zeigt. Im Zusammenhang damit scheint die weitverbreitete Um- |8|lautung des nd [und nt] in ng zu stehen: Hängerche, Kengskenge sagt der Steinbacher statt Händchen, Kindeskinder. Aber ich hätte ähnliche Fälle aus meiner Gothaer Md. anführen können z. B. komm emal runger (ng gutt. Ƞ). Diese Lauterscheinung ist mir immer nachgegangen; ich habe mich ihrer erinnert als ich im Baskischen (B. u. R. 17)21 ng (dieses allerdings Ƞ + g) = nd feststellte. Ob aber jene Bezugnahme aufs Englische wirklich auf meinem Miste gewachsen ist? Ich finde sie wieder in dem zehn Jahre später erschienenen Buche meines Lehrers Karl Regel:22 Die Ruhlaer Mundart (1868), und Regel lehrte uns in den Selecta23 ein ganz klein wenig Englisch; doch sollte er uns gleich in allem Anfang mit solchen Sprachvergleichungen gekommen sein?

Da ich aufs Englische geraten bin, so will ich es gleich abtun. Ich habe nie ein inniges Verhältnis dazu gehabt; ich wurde früh mit ihm bekannt, aber nur oberflächlich, es war mir zu leicht und zu ordinär, jeder Ladenschwengel befaßte sich damit. Die Aussprache widerstand mir aufs äußerste. Ich habe es nur einmal con amore betrieben; im Winter 69/70, als ein Trupp amerikanischer Fräuleins in Gotha weilten. Das hinderte nicht daß ich Shakespeare vergötterte, besonders nachdem ich Dawison24 als Richard III und den Neger Ira Aldridge25 als Othello gesehen hatte. Mein Lieblingsstück war aber Macbeth (als Lektüre). Byrons Sonnet on Chillon übersetze ich aus Liebe zur rom. Schweiz (das Bild von Chillon schwebte mir lebhaft vor). Hier der Schluß

Chillon! ein heil’ger Raum ist dein Verließ
Und deine düstre Flur ist ein Altar,
Denn bis er wie im Rasen Spuren ließ,
Betrat dein kaltes Pflaster Bonnivard.
Mag keiner diese Zeichen je vernichten,
Sie schrein zu Gott, die Tyrannei zu richten.26

|9| Das Französische war mir, von den Aussprachequälereien in der Kindheit abgesehen, immer als eine Art Familiensprache angenehm; doch war damit keine stärkere wissenschaftliche Anregung verbunden. Ich spielte gelegentlich in einem französischen Lustspiel mit u. dgl. Einen trefflichen Privatunterricht erhielt ich, zusammen mit meinem Freund K. v. Sch. bei dem Elsässer Schwob-Dollé, der Lehrer am Gymnasium war.27 Von einem Schweizer Glossar erhielt ich eine, allerdings sehr dürftige Vorahnung in dem Anhang zum „Sauvage du lac d’Arnon“ von meinem Großonkel.28 Bei der Genesung von einer schweren Krankheit (1857) entrückten mich Töpffers Voyages en zig-zag.29 Ich kehrte in späterer Zeit zu ihnen zurück und merkte mir daraus auffällige Worte an, wie rebougiller, procillon, kirchmussé, beefsteakement, procillon, (c’est cela qui est) castor, avec sa titus, les no no, les uï uï (die beiden Klassen der Engländer), démantibuler (woher das t ?) usw. [beiläufig wie erklären Sie das in westschw. Zeitungen vorkommende moche für boche?] Daß ich [mich] für die alten Sprachen interessierte, geht wohl aus der Privatlektüre hervor die ich gegen das Ende meiner Gymnasiallaufbahn pflegte (einer unserer Lehrer las mit mir und meinem Secundus – ich war Primus omnium – Rudloff. Aristophanes).30

Das Hebräische hatte es mir durch die Schrift angetan. Eine Sprache die von rechts nach links geschrieben wird, parbleu! Für meinen Paten Jacobi hatte ich die tiefste Bewunderung weil ich wußte er verstand Hebräisch. Ich studierte es für mich; als ich es dann auf dem Gymnasium treiben mußte (als zukünftiger Philologe) machte ich – da wir einen recht schwächlichen Lehrer hatten kaum noch Fortschritte.31|10| Daran schloß sich das Arabische (de Sacy’s Grammatik),32 worin ich es nur so weit brachte, ein und das andere Stück in einer Chrestomathie zu übersetzen. – Vergessen habe ich zu sagen daß ich mich auch mit Spanisch und Italienisch wohl etwas befreundet habe, besonders mit jenem, da in Gotha Keils33 Grammatik und eine Biblioteca española34 erschienen waren. Der Cid! „Tröster meiner Trauerstunden, großer Cid unüberwunden …“ – Dem Wendischen zulieb besuchte ich in Dresden die Kreuzkirche (?), um ganz verständnislos eine wendische Predigt mit anzuhören.35

Die Wurzeln des Baskischen erstrecken sich vielleicht in meine frühe Kindheit zurück da ich die Weltkarte in Vossens Odyssee-Übersetzung mit tiefstem Interesse betrachtete. Es waren die Randvölker oder überhaupt alle rätselhaften Völker die mein Inneres erregten: Aethioper, Kimmerier, Pelasger, Etrusker (Otfried Müller!),36 Kelten, Iberer, Libyer usw. Die Karlistenkriege brachten uns die Basken näher; wie hätte ich solchen Namen wie Zumalacarregui37 auf die Dauer widerstehen können! In Gotha lebte der Karlistengeneral Baron Rahden,38 ein Freund meiner Eltern. Wenn er mir begegnete, pflegte er mit seiner heisern Stimme (eine Kugel stak ihm noch im Hals) zu sagen: „Nun, kleiner Humboldt, wie geht’s?“ Leider meinte er nicht W. von Humboldt, den kannte man damals kaum, sondern Alexander, der als Ausbund alles Wissens, als der Aristoteles des 19. Jhrhs. galt. Mein Ruf als Gelehrter hatte aber keine positive Grundlage, sondern nur eine negative; ich machte mir nichts aus Bleisoldaten. Während meiner Schulzeit lernte ich noch Adelungs Mithridates39 kennen sowie Larramudis El imposible vencido40 (schon der Titel war eine Verführung!) in Jena noch gab ich mich etwas mit dem Bask. ab. Dann kam das große Interregnum. – Jetzt setzt Urtel das Studium des Bask.fort: Seine Arbeit über die Ausdehnung des Iberischen in Südfrankreich (Berl. Akad.) muß schon gedruckt sein.41 – So, nun habe ich mich ganz vor Ihnen entblößt und nicht einmal die Schwimmhosen anbehalten.

Kodizille vorbehalten!

Ihr
HSch.42


1 Nicht erhalten.

2 Nom de plume der Autorin Sibylle Riquetti de Mirabeau (1849-1932), die ein umfangreiches gesellschaftskritisches Werk hinterlassen hat.

3 Juan Valera (1842-1905), span. Schriftsteller, Politiker u. Diplomat.

4 Costantino Nigra (1828-1907), aus Turin stammender ital. Diplomat u. Staatsmann.

5 Angelehnt an Horaz, Epist. I, 10, 24; „Naturam expellas furca, tamen usque recurret“ („auch wenn du die Natur gewaltsam austreibst, sie kehrt doch wieder zurück“).

6 Vermutlich Louise Drevelle du Frênes (1819-1860), die den Gothaischen Notar Georg Hirth heiratete. Ihre Kinder waren der spätere Sinologe Friedrich (1845-1927), der Schriftsteller Georg (1841-1916) und der Maler Rudolf Hirth du Frênes. Louise war die Tochter von Ange-Placide Drevelle du Frênes (1773–1823) aus Troyes, Gymnasialprof. in Jena u. Gotha, u. d. Josephine Boisseau aus Namur. Schuchardt stand später mit Friedrich (HSA 04752-04754) und Georg (HSA 04755-04762) in brieflichem Kontakt.

7 Gustav Seyffarth, Archaeologische Abhandlungen 13 (Zur Hieroglyphen-Kunde), Leipzig [1849].

8 Sándor Petöfi (1823-1849), ungar. Nationaldichter

9 Karl Hermann Scheidler, Grundlinien der Hodegetik oder Methodik des akademischen Studiums und Lebens , Jena: Cröker, 1839 ; XXII, 520 S.

10 Valentin Christian Friedrich Rost, Griechische Grammatik , Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht, 1821 u. ö.

11 Ottmar Dittrich, Grundzüge der Sprachpsychologie. 1. Einleitung und allgemeinpsychologische Grundlegung , Halle a. S., 1903 ; VIII, 400 S.

12 Wilhelm Humboldt (1767-1835), Heymann Steinthal (1823-1899), Wilhelm Wundt (1832-1920), Anton Marty (1847-1914), alle bedeutende Sprachphilosophen.

13 Es handelt sich um sieben aus dem Sandstein dieses Bergs gebrochene Säulen mit eingemeißelten Zeichen. Vgl. Anselm Andreas Caspar Cammerer, Naturwunder, Orts- und Länder-Merkwürdigkeiten des Königreiches Bayern, für Vaterlandsfreunde, so wie für kunst- und naturliebende Reisende , Kempten: Kösel, 1832, 78 f.

14 Herminafried (auch Hermenefred, Erminafried, Irminfried); * vor 485; † 534 in Tolbiacum (Zülpich), auf Befehl des Merowingers Theuderich I. von den Festungsmauern von Zülpich zu Tode gestürzt. Vgl. Bruno Eelbo, Irminfried: ein Drama in 5 Aufzügen , Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1903.

15 Caspar Sagittarius (1643-1694), Historia antiquissimae urbis Bardewici: in qua simul antiquus universae inferioris Saxoniae status, bella Caroli Magni cum Saxonibus, constitutio ducum, comitum, episcoporum in Saxonia eorundemque potestas, origines item ac incrementa variarum urbium & inprimis Lubecae, Hamburgi, Luneburgi, nec non potentissimi quondam Bavariae & Saxoniae ducis Henrici Leonis vita et res gestae ex optimis veterum monimentis expenduntur, Jena 1674.

16 Georg Michael Pfefferkorn (1646-1732), Merkwürdige und Auserlesene Geschichte von der berümten Landgrafschaft Thüringen. Darinnen Das Denkwürdigste von dieses Landes Chroniken, Lage, Fruchtbarkeit, Bergen, Gründen, Flüssen, Wäldern, Sitten, Sprache, ... Kriegen und Belägerungen, ... aus den geschriebenen und gedrukten Chroniken ... Allezeit mit Zusezzung der neuesten Begebnisse ... in 33 Capiteln ... beschrieben , [S.l.] ; [s.n.] ; 1685 ; [4] Bl., 562 S., [7] Bl.

17 „Drei Gleichen ist die Bezeichnung für ein mittelalterliches Burgenensemble in Thüringen sowie für das Bergensemble, auf dem die Burgen stehen. Die Berge ziehen sich von neun Kilometer südöstlich Gothas bis fünf Kilometer nordwestlich Arnstadts“ (Wikipedia).

18 Jacob Grimm, Deutsche Mythologie , Göttingen: Dietrich, 1835 u. ö.

19 Vermutlich eine Tochter von Julius Sigismund Thümmel (1818-1885), Universitätsrichter in Halle. Sie war später Hofdame der Fürstin Mathilde von Schwarzburg-Sondershausen.

20 Vgl. dazu Schuchardt, Der Individualismus in der Sprachforschung, Wien u. Leipzig: Hölder-Pichler-Tempsky, 1925, 12: „Schließlich, als Sechzehnjähriger verfaßte ich eine Epistel an Frl. C. v. Th. über die ,Walddialekte in hiesiger Gegend‘, die ich nach dem Tod der sehr gescheiten Dame zurückerhielt. Der Stoff ist zum größten Teil nicht aus meinem eigenen Brunnen geschöpft, die Behandlung läßt aber dochwohl etwas von dem Geiste meines lieben Lehrers KARL REGEL verspüren, der freilich erst ein Jahrzehnt später seine gründliche Darstellung der Ruhlaer Mundart herausgab. Es wundert mich noch jetzt daß ich nach all den Vorspielen nicht Germanist oder Mediävist geworden bin“.

21 Schuchardt, Baskisch und Romanisch. Zu de Azkues baskischem Wörterbuch. I. Band, Halle: Niemeyer, 1906 (6. Beiheft zur Zeitschrift für rom. Philologie, 1-62).

22 Karl August Regel (1817-1889), vierter Sohn des Garnisonpredigers und Professors Andr. Ludw. Regel, stud. Theologie und Klass. Philol. in Jena, seit 1843 Lehrer am Gymnasium Ernestinum zu Gotha (Angaben nach Kössler, Personenlexikon); Vf. von Die Ruhlaer Mundart , Weimar: Boehlau, 1868.

23 Damals die achte Schulklasse für besonders begabte Schüler.

24 Bogumil D. Dawison (1818-1872), poln. Herkunft, seit 1853 lebenslang am Dresdner Hoftheater verpflichtet, löste er jedoch 1866 den Vertrag und ging auf Tournee, u. a. in die USA.

25 Ira Aldridge (1807-1868), in New York geboren, einer der bedeutendsten afro-amerikanischen Schauspieler seiner Zeit.

26 Chillon! thy prison is a holy place,
And thy sad floor an altar – for ‘t was trod,
Until his very steps have left a trace
Worn, as if thy cold pavement were a sod,
By Bonnivard! – May none those marks efface!
For they appeal from tyranny to God.

27 Joseph Antoine Schwob-Dollé, später Französischlektor a. d. Univ. Kiel, Vf. mehrerer Unterrichtswerke.

28 Philippe Bridel, Le sauvage du lac d’Arnon, suivi de morceaux divers , Vevey: Loertscher et fils,, 1837.

29 Rodolphe Töpffer, Voyages en zig-zag, excursions d’un pensionnat en vacances , Paris: J.-J. Dubochet, 1843.

30 Richard Rudloff, De Aristophane Euripidis irrisore , Berlin 1865.

31 am oberen Rand: „Als Blattfüller: Wie kommt das Zigeunerwort camelin Liebhaber ins Westschw.? Vgl. span. zig. camelar, kabul. ḥemmel lieben – altind. kam dass.

32 Antoine Isaac Silvestre de Sacy, Grammaire Arabe: à l'usage des élèves de l'école spéciale des Langues Orientales Vivantes; avec figures , Paris: Impr. Impériale, 1810.

33 Johann Georg Keil, Elementarbuch der Spanischen Sprache; für deutsche Gymnasien und hohe Schulen, auch zum Selbstunterricht für Studirende; Libro Elementar de la Lengua Castellana , Gotha: Steudel, 1814.

34 Gotha, 1805-1812.

35 Eine Predigt in sorbischer Sprache.

36 Karl Otfried Müller (1797-1840), bedeutender Altphilologe und Althistoriker, seit 1819 in Göttingen.

37 Tomás de Zumalacárregui (1788-1835), span. Militär im Kampf gegen Napoleon.

38 Wilhelm von Rahden (1793-1860), Söldnergeneral und Militärschriftsteller; vgl. Rahden, Andanzas de un veterano de la guerra de España , Pamplona: Inst. Príncipe de Viana, Diputación Foral de Navarra,1965.

39 Johann Christoph Adelung, Mithridates oder Allgemeine Sprachenkunde , Berlin: Voss, 1806.

40 Manuel de Larramendi,El imposible vencido. Arte de la lengua Bascongada, Salamanca 1729.

41 Satzbau nicht korrigiert!

42 Heinimann, 1972, 6-12.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Jaberg-Archiv, Universität Bern (Institute für Romanische Sprachen und Literaturen und Jaberg-Bibliothek). (Sig. HSJJ07)