Jakob Jud an Hugo Schuchardt (30-05177)
von Jakob Jud
an Hugo Schuchardt
Unbekannt
17. 09. 1916
Deutsch
Zitiervorschlag: Jakob Jud an Hugo Schuchardt (30-05177). Unbekannt, 17. 09. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8510, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8510.
17 IX 16.
Verehrter Meister,
Die so unerwartete Nachricht vom Verlust unseres lieben Herrn Nedwed1 hat mich tief ergriffen: ein Mensch mit so reichen Anlagen ein Opfer des Krieges, ich wollte zunächst einfach nicht daran glauben! Da taucht gestern wieder ein blasser Hoffnungsstrahl auf: der Bericht läuft ein, dass sein Verlust vielleicht doch nicht so sicher sei, und so lebe ich weiter der Erwartung, dass dieser frohen Nachricht kein niederschmetterndes Dementi folge!
Zunächst habe ich Ihnen noch mitzuteilen, dass Prof. Gaidoz2 sich stets noch einer ordentlichen Gesundheit erfreut, allerding seien die Augen so geschwächt, dass er auf die Lektüre der Zeitungen & Druckbogen verzichten müsse. Endlich sage ich Ihnen wärmsten Dank für die so |2| überaus willkommene Bibliographie, die wirklich den Fachgenossen wertvolle Dienste leisten wird.3 Ihre weitausgreifende Tätigkeit hat in so vielen Zeitschriften sich geäussert, dass man immer wieder neue Überraschungen in der Unkenntnis gewisser Seiten Ihrer Forschung erlebt. Und da Sie mir so gütigst helfen wollen, meinen Schuchardt-Band – in dem die in nicht streng romanistischen Zeitschriften erschienenen Arbeiten vereinigt sind – zu vervollständigen, so unterbreite ich Ihnen mit Freuden den Wunschzettel und bitte den Geber, ob dessen Reichtum und Ausdehnung nicht bestürzt zu sein! Es sind folgende Nummern: 3, 4, 26, 39, 42, 43, 106, 107, 107‘, 121,122, 125, 133, 137-140, 141, 142, 150, 161, 162, 174, 175, 176, 177, 185, 188, 192, 193, 197-198, 199, 208, 209, 217, 218, 227, 229, 251, 252, 253, 254, 264, 265, 266, 273, 274, 276, 277 |3| 278, 283-84, 285, 286-88, 296, 297-300, 307, 308, 310, 334, 337, 359-60, 362, 368, 369, 370, 372, 391, 392, 393, 394, 395, 404, 416-20, 426, 431, 432, 433, 434-36, 437, 460-61, 483-84, 486, 504, 505, 507, 508, 509, 541, 542, 543, 559, 560, 573, 589, 591 (n° II besitze ich bereits), 601, 603, 604-07, 609, 610, 611, 612, 617, 626, 627, 628, 631, 638-40, 656, 660, 662, 663, 664.4 Und ferner bin ich für Separata Ihrer Besprechungen im Littblatt und Litt. Zentralblatt früherer Jahrgänge herzlich dankbar!
Ihre Mitteilungen betreffend Saussures Buch haben mich ausserordentlich gefesselt:5 wenn unser Plan, eine Revue de dialectologie in unserer Schweiz zu veröffentlichen6 – ich bitte Sie aber herzlich, davon niemandem Mitteilung zu machen, da wir Schweizer nicht gern Dinge ausposaunen wollen, deren Verwirklichung noch nicht sicher gestellt sind7 – |3| so würden wir im ersten Heft mit der lebhaftesten Freude eine Kritik des Saussureschen Buches gerade von Ihnen erwarten. Könnten Sie sich dazu entschliessen? Es berührt doch den Leser eigenartig, bei der Lektüre von De Saussures Buch den Forscher in so losem Contakt mit der romanischen Forschung zu sehen: den Kern des Buches dürfen wir wohl in dieser klaren Anschauung von der Sprache als historischer und a-historischer Erscheinung sehen: in dem, was Saussure über die statistique dans la linguistique sagt, ist der Ausgangspunkt zu sehr fruchtbarer Weiterforschung gegeben, wobei allerdings die „fremden“ Romanisten8 mitzumachen wohl es sich versagen müssen.9
Endlich noch eine Frage bibliographischer Natur. Ich erinnere mich, bei Anlass des Besuches in Graz im untersten Gestell eines der Mittelräume Ihres gastlichen Hauses ein spanisches-dialektales Wörterbuch eingesehen zu haben, das mir bis heute unbekannt geblieben ist: könnten Sie mir diesen Titel |1| angeben? – Ihnen, verehrter Meister, herzlichen Dank für alles Liebe, das Sie mir erwiesen haben.
Ihr ergeb[ener]
Jud
H. Prof Cornu besten Gruss.10
1 Vgl. Brief 1 (28.8.1916); weiterhin Brief 37-1126, Herbert Steiner (Zürich, 5.7.1922) an Hugo Schuchardt. Der junge Romanist Nedwed hatte sowohl in Graz als auch bei Jud in Zürich studiert.
2 Henri Gaidoz (1842-1932), Historiker und Keltist; vgl. HSA 03211-03307.
3 Schuchardt, Verzeichnis der Druckschriften von Hugo Schuchardt, Graz: Leykam, 1916.
4 Die Unterstreichungen stammen vermutlich von Schuchardts Hand und gelten als Zeichen der Disponibilität der Publikation.
6 Zu ergänzen: „sich verwirklichen lässt“.
7 Gem. „ist“.
8 „Gemeint sind die Romanisten nicht-romanischer Muttersprache“ (Heinimann).
9 Vgl. Schuchardt, „[Rez. von:] Ferdinand de Saussure, Cours de linguistique générale, publié par Ch. Bally et Alb. Sechehaye, avec la collaboration de Alb. Riedlinger“, Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 38, 1917, 1-9.