Jakob Jud an Hugo Schuchardt (26-05174)
von Jakob Jud
an Hugo Schuchardt
24. 05. 1915
Deutsch
Zitiervorschlag: Jakob Jud an Hugo Schuchardt (26-05174). Zürich, 24. 05. 1915. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8506, abgerufen am 21. 04. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8506.
Verehrter Meister,
Zunächst warmen Dank für Ihre Abrechnung mit Schulten;1 es ist eigentümlich, wie oft linguistisches Denken bei Historikern fehlt und Trugschlüsse häufig sind. Es täte einmal wirklich not, dass über das Verhältnis von Sprache und Volk ein Linguist eine das prinzipielle betonende kleine Arbeit publizieren würde. Hätten Sie nicht Lust, diese Kopfklärung durchzuführen? Herzlichen Dank für den Brief, Bovet wird Ihren Artikel nächstens bringen: er freute sich sehr, auf Ihre Mitarbeit rechnen zu dürfen.2 In welch schwerer Zeit leben wir heute! Wieviele moralische Werte leiden Schiffbruch! Ist dies |2| nicht alles die Katastrophe aller sogenannten Realpolitik, die sich in den letzten Jahren geradezu zu einem politischen Dogma herausgebildet hatte. Umwertung mancher Werte – auch der Wissenschaft als völkerverbindenden Faktors! – ist gewiss an der Tagesordnung bei manchem, der diesen gewaltigen Ereignissen zuschauen muss.
1 Adolf Schulten (1870-1960), deutscher Althistoriker mit Arbeitsschwerpunkt in Spanien; vgl. HSA 10400-10421. Hier ist gemeint Schuchardt, „Baskisch = Iberisch oder = Ligurisch?“, Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 45, 1915, 109-124.
2 Entweder Schuchardt, „Offener Brief“, Wissen und Leben 8, 1914/15, 601-613 oder „Ein wenig Philologie“, Wissen und Leben 9, 1915/16, 153-161. Schuchardt geht hier auf die territorialen Ansprüche ein, die Italien gegen Österreich geltend machte.