Jakob Jud an Hugo Schuchardt (17-05165)
von Jakob Jud
an Hugo Schuchardt
Unbekannt
23. 03. 1914
Deutsch
Schlagwörter: Hugo-Schuchardt-Brevier Jud, Jakob (1917) Meyer-Lübke, Wilhelm (1911–1920) Schuchardt, Hugo (1918) Jud, Jakob (1919) Heinimann, Siegfried (Hrsg.) (1992)
Zitiervorschlag: Jakob Jud an Hugo Schuchardt (17-05165). Unbekannt, 23. 03. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8497, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8497.
23.III.14.
Verehrter Meister!
Zunächst möchte ich Ihnen meinen herzlichen Dank für Ihre Ermunterung sagen,1 die mir so spontan vor allen andern zugekommen ist. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen wie sehr ich mich freue, dass wenigstens in den grossen Linien ich mich Ihrer Zustimmung erfreuen darf, die mir der stärkste Ansporn ist, auf dem einmal betretenen Wege vorwärtszuschreiten. Vor lauter neuen Plänen komme ich leider nicht immer zur Ausführung meiner Arbeiten: es liegen nicht weniger als vier angefangene Untersuchungen auf meinem Schreibtisch, aber einzig die |2| Zukunft weiss, wann ich zu Ende kommen werde. Ihre Zustimmung hat mir aber auch deswegen Freude bereitet, weil ich in letzter Zeit mehr denn je das Ziel hämischer Bemerkungen gewisser übereifriger Paladine von M-L. geworden bin: ich werde oft wie ein dummes, mutwilliges Kind behandelt, das keine Ahnung hätte welche Arbeitsleistung die Abfassung eines romanischen etymolog. Wörterbuchs bedeutet. Und doch darf ich mit ruhigem Gewissen die Ansicht vertreten, dass ich die Vorzüge und die Mängel der letzten zusammenfassenden Leistung des Wiener Meisters gewiss sehr wohl aus eigener Erfahrung einzuschätzen weiss.2
Mit welcher Spannung erwarte ich Ihre Arbeit über die lateinischen Lehnwörter im Berberischen;3 hier müssen sich doch prächtige Probleme für die sprachliche |3| Eigenart der mediterranen Südromania ergeben: hoffentlich dürfen wir diese reiche Frucht bald kosten! Gilliéron arbeitet gegenwärtig an Problemen der Geschlechtsnamengeographie; er hat die gewaltigen Adressbücher Frankreichs auf gewisse Geschlechtsnamen hin untersucht und erzielt dadurch ein höchst fesselndes Bild der Verbreitung gewisser Wörter (z. B. von Handwerksnamen) in der Epoche des ausgehenden Mittelalters. Er hat mir eine Anzahl von Problemen dargelegt, die wirklich fördernd sein werden.
Und nun noch ein seit langer Zeit gehegter Wunsch! Wer wie ich so starke Anregung in Ihren Arbeiten erfahren hat, bedauerte oft, dass gewisse Ihrer Arbeiten in unzugänglichen Zeitschriften vergraben sind (z. B. in Globus, usw.). Könnten Sie Ihre Zustimmung zum Plane geben, |4| eine Anzahl solcher in nichtromanischen Zeitschriften veröffentlichten Arbeiten in einem Band zu vereinigen und mit ausreichenden Indices auszustatten? Den Band würde wohl Winter4 gewiss übernehmen, und die Auswahl der Arbeiten, die Sie zur Wiederveröffentlichung empfehlen würden, sollte das ganze weite Gebiet Ihrer Tätigkeit umfassen. Damit Ihnen Ihre kostbare Arbeitszeit nicht geraubt würde, wäre ich gerne bereit die Indices anzufertigen, um so einen kleinen Teil meiner Schuld abzutragen, in der ich bei Ihnen stehe.5
Ein alter Wunsch seit meinen Studentenjahren – geht er je in Erfüllung? – war, Sie in Graz einmal aufsuchen zu dürfen; ich hege noch immer die leise Hoffnung, diesen Plan diesen Frühling ausführen zu können, wofern ich Ihnen nicht ein ungebetener Gast bin!6 Empfangen Sie, verehrter Meister, meine herzlichen Wünsche.
Ihr
.7
1 Der entsprechende Brief ist nicht erhalten. Er bezog sich vermutlich auf Juds Aufsatz über „Probleme der altromanischen Wortgeographie“, ZrP 38, 1913, 1-75; vgl. HSA 05158.
2 Jud, Rez. von W. Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch, ASNSpr 127, 1911, 416-438; Juds Stellungnahme zur Entgegnung Meyer-Lübkes (in ASNSpr 129, 1912, 228-233) ebd., 233-235.
3 Schuchardt, Die romanischen Lehnwörter im Berberischen, Wien: Hölder, 1918; Rez. Jud, Romania 45, 1918/19, 272-275.
4 Heidelberger Traditionsverlag, der aus der „Akademischen Buchhandlung Mohr und Winter“ hervorgegangen war und von 1822 bis 1992 familiengeführt blieb.
5 Man kann in dem in diesem Brief vorgetragenen Plan bereits die „Idee“ des späteren Hugo Schuchardt-Brevierserkennen.
6 Dieser (erste) Besuch fand auf Ermunterung Schuchardts an Ostern 1914 statt, vgl. HSA 05166 und 05167.