Jakob Jud an Hugo Schuchardt (06-05154)

von Jakob Jud

an Hugo Schuchardt

Zürich

22. 04. 1911

language Deutsch

Schlagwörter: Atlas linguistique de la France Schuchardt, Hugo (1909) Heinimann, Siegfried (Hrsg.) (1992)

Zitiervorschlag: Jakob Jud an Hugo Schuchardt (06-05154). Zürich, 22. 04. 1911. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8486, abgerufen am 20. 05. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8486.


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ZÜRICH V, den 22 IV 11.
Sprensenbühlstr. 14

Sehr geehrter Herr Professor!

Für die freundliche Zusendung des Separatums schulde ich Ihnen aufrichtigen Dank: in der Tat war ich daran, eine eingehende Rezension von M-L Et Wtbuch |2| abzufassen1, als die Spuren der Überarbeitung des letzten Winters sich zeigten, so dass ich mitten drin abbrechen musste. Prinzipiell stehe ich durchaus auf Ihrem Boden und lege diesen Standpunkt eingehend in der Einleitung dar: es ist in der Tat für mich unverständlich, dass, nachdem Sie in so beredten Worten zuletzt in der Grazer |3| Festschrift den Wert der Persönlichkeit des Forschers im allgemeinen betont haben2, gerade hier eine trostlose Namenlosigkeit hat Eingang finden müssen. So hoch ich die Leistung Meyer-Lübkes als solche werte, so ist doch manches wenig tief erfasst, die Grundlinien Gilliéronscher Forschung z. T. sind wenig eingehalten: mancher Richterspruch |4| wird autoritär verkündet, den anzuerkennen nicht leicht wird. Unsere romanische Sprachforschung krankt vielleicht etwas an der zu stark lokal begrenzten Centralisierung, wodurch eine anders geartete Auffassung unter den jüngeren Forschern nicht zum Durchbruch gelangen kann. Doch, verehrter Meister, Sie werden sich auf keinen Fall entmutigen lassen, und wir Jüngeren, die wir |5| so sehr in Dankesschuld bei Ihnen stecken, hoffen sehnlichst, dass Sie uns bald jene Studien über die Insektennamen schenken möchten, die Sie uns einst in Aussicht gestellt hatten.

Sie wissen wohl bereits, dass Edmont3 diesen Monat nach Corsica geht, um dort an 60 Punkten einen Questionnaire von 3200 Wörtern aufzunehmen: das Material wird |6| als Appendix zum grossen Atlas in kleinerem Format auf Karten geboten werden; ein gewaltiges Material wird sich hier für den Forscher ergeben. Sollten Sie einmal in die Schweiz kommen, so würde es Gill.4 ungemein Freude machen, Sie kennen zu lernen: wir erzählen ihm von Ihren Arbeiten so viel, dass er längst unsere Bewunderung für Sie teilt.

Mit ergeb. Grüssen
Ihr

J. Jud5


1 Juds Rez. der Lieferungen 1 und 2 des REW findet sich in ASNSpr 127, 1911, 416-438.

2 Schuchardt, „ Sprachgeschichtliche Werte“, ΣΤΡΩΜΑΤΕΙΣ. Grazer Festgabe zur 50. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, Graz: Selbstverlag des Festausschusses, 1909, 155-172.

3 Edmond Edmont (1849-1926), franz. Romanist und Dialektforscher, zunächst Einzelhandelskaufmann und Autodidakt, der von Jules Gilliéron gefördert und später zum Mitherausgeber des ALF gemacht wurde.

4 Jules Gilliéron (1854-1926), schweiz.-franz. Linguist; vgl. HSA 03756-03764.

5 Heinimann, 1992, Nr. 2, 3-5.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05154)