Friedrich Ratzel an Hugo Schuchardt (07-09153)

von Friedrich Ratzel

an Hugo Schuchardt

München

15. 04. 1883

language Deutsch

Schlagwörter: Das Auslandlanguage Spanisch Kirchhoff, Alfred München Seychellen Mexiko Florida

Zitiervorschlag: Friedrich Ratzel an Hugo Schuchardt (07-09153). München, 15. 04. 1883. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8477, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8477.


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Redaction des „Ausland
MÜNCHEN, den 15.4.
1883.

Verehrtester Herr Kollege!

Hier die Büchner’sche Besprechung Ihrer Studie, welche kurz, aber wohlgemeint ist.1 B. ist entzückt über diese Studie und wird, wenn er wieder nach Afrika geht, für Sie sammeln, auch ohne direkten Auftrag zu haben. So ist er. Rauhe Schale, guter Kern.

Ihr Brief vom 27 Januar hat mir grosse Freude gemacht. Das Werk meines Lebens soll eine große Anthropogeographie mit vielen |2| Karten, auf der Basis eines ausgedehnten Spezialstudiums sein, in welchem ich gerade eben versenkt bin und für viele Jahre versenkt sein werde.2 Darum bin ich Ihnen doppelt dankbar für Ihre Ausstellungen und werde es als den größten Dienst betrachten, welchen Sie mir leisten können, wenn Sie jeden Fehler dieses Buches mir kenntlich machen. Ich weiß, daß es deren genug hat; denn nur die Einzelheiten waren langsam herangereift, während das Ganze rasch wie aus einem Gusse hervortrat, um meinen alten besten Freund Moritz Wagner noch erfreuen zu können.3|3| Gestatten Sie mir, mit ein paar Worten auf Ihre so dankenswerthen Bemerkungen einzugehen. 1), „bemühend“ ist ein Marottenwort, über das ich schon oft aufgezogen worden bin. König Wilhelm sagte in der Konfliktzeit einmal in einem Reskript zu Bismarck, das Verhalten des Landtages sei ihm bemühend erschienen. Da ich m. großen Kaiser und obersten Kriegsherrn und seinen größeren Kanzler warm verehrte, nahm ich das Wort an. – 2) Besten Dank für die Benennung der mir unbekannten Untersuchungen Luchaires. 4– 3) Kelten und Salzwasser, S. 241. Dank für die Belehrung. Ich ging |4| nach Lindsay History of Merchant Shipping5 und war außerdem beeinflußt durch eine Angabe Gibbons,6 dem ich früher zuviel Autorität in antiquarischen Dingen beimaß. 4) Die „Petits Blancs de Bourbon“7 fand ich in einem Aufsatze (Jourdanets?)8 im Bulletin der Pariser Geographischen Gesellschaft. Liegt Ihnen daran so kann ich das Zitat in m. Kollektaneen finden. 5) Von den Seychellen ist mir nichts bekannt, werde aber die Sache im Auge behalten. 6) Die Reinlichkeit der im trockenen Klima wohnenden Andalusier ist mir interessant. |5| Sie sind auch in Mexiko reinlicher als ihre Brüder, die Gallegos. Aber der große Gegensatz der in wasserärmsten Regionen lebenden Mongolen,Tuaregs u. s. w. zu den beständig badenden Polynesiern verdunkelt doch wohl diese Thatsache und ähnliche. 7) Der Gegensatz zwischen Nord- und Südländern ist ein so durchgehender, daß es doch immer wieder auffällt, wie wenig er auch in vielen Fällen scharf zu definieren ist. Sie haben hinsichtlich der Heiterkeit recht. Schon Bastian9 u. Kirchhoff10hielten mir den heiteren Eskimo entgegen. Etwas von diesem |6| Unterschied hat seinen anthropologischen Grund in den Wellen dunkler, sei es neger-, sei es mulattenhafter Völker, welche von Süden nach Norden schwärmten und vielfach den Südtheil der Länder bedeckten. 8.) Wegen Florida schrieb ich vor einiger Zeit an einen Freund in Washington D. C. 9). Die Frage der spanischen Sprache bitte ich mir näher überlegen und Ihnen später eingehender beantworten zu dürfen. Ich bin erst vor einigen Tagen von Frankfurt zurückgekommen, nächsten Montag fangen wir an zu lesen: entschuldigen Sie, lieber Herr Kollege, das Kurze und Abgerissene dieser Antwort, die Ihres so lehrreichen und erfreuenden Briefes nicht würdig ist. Kommen Sie nicht einmal hierher? Ich möchte endlich gern mit Ihnen mehrere Tage verplaudern, Sie mit dem lieben Wilhelm Hertz11 zusammenbringen u. s. w. Ich würde nur bitten, michs vorher wissen zu lassen, weil ich öfters ausfliege.

Mit wiederholtem Dank und herzlichem Gruß
Ihr sehr ergebener Friedrich Ratzel.


1 Vgl. HSA 09152 (in Fn.: Das Ausland 56, 1883, 220).

2 Die Aussage erstaunt, denn es liegt zu diesem Zeitpunkt bereits vor: Ratzel, Anthropogeographie [1]. Grundzüge der Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte, Stuttgart: Engelhorn, 1882, XVIII, 506 S. - Bd. 2. Die geographische Verbreitung des Menschen, ebd. 1891, XLII, 781 S.

3 Zu Beginn von Bd. 1 finden wir folgende Widmung: „Herrn Prof. Dr. Moritz Wagner, Vorstand des Ethnographischen Museums in München“, datiert vom Mai 1882 (S. v-viii).

4 Achille Luchaire (1846-1908), französischer Mittelalterhistoriker und Philologe, Verf. zahlreicher Arbeiten zur mittelalterlichen Königsgeschichte.

5 William Shaw Lindsay, History of merchant shipping and ancient commerce in four volumes; with numerous illustrations, London: Sampson Low, Marston, 1874.

6 Edward Gibbon (1737-1794), bedeutender britischer Historiker, u. a. Verf. von The History of the Decline and Fall of the Roman Empire.

7 „Le Petit Blanc désignait aux Antilles et en Afrique coloniale française une personne « blanche » c'est-à-dire d'origine européenne ayant une condition sociale modeste“ (wikipedia).

8 Denis Jourdanet (1815-1892), franz. Arzt und Physiologe; er ist jedoch nicht der Verf. des entsprechenden Aufsatzes, sondern vermutlich A. Jousset, „De l’acclimatement et de l’acclimatation“, Archives de médecine navale 41, 1884, 408ff .

9 Adolf Bastian (1826-1905), deutscher Ethnograph u. Mediziner; vgl. HSA 00570-00571.

10 Alfred Kirchhoff (1838-1907), deutscher Geograph; vgl. HSA 05552-05553.

11 Wilhelm Hertz (1835-1902), deutscher Dichter und Germanist, Professor in München.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09153)