Hugo Schuchardt an Josef von Karabacek (19-0564-12,6)

von Hugo Schuchardt

an Josef von Karabacek

Graz

11. 03. 1907

language Deutsch

Schlagwörter: language Iberischlanguage Baskischlanguage Lateinlanguage Keltische Sprachenlanguage Romanische Sprachen Holzhausen, Adolf Humboldt, Wilhelm von Hübner, Aemilius (1893)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Josef von Karabacek (19-0564-12,6). Graz, 11. 03. 1907. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8442, abgerufen am 09. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8442.


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HUGO SCHUCHARDT 11.3.‘7

Verehrter Herr Kollege,

Ich bin Ihnen für Ihre gütige Vermittelung bei Holzhausen1 sehr dankbar. Die Korrekturen des Berichtes für den Anzeiger2 habe ich sofort an die Druckerei geschickt.3 - Es wird mich |2| sehr freuen Sie hier begrüßen zu können; hoffentlich verschwinden Sie nicht so plötzlich wie das letzte Mal, wo ich Sie nicht mehr im Johann vorfand.4 Ich wohne jetzt in unmittelbarer Nähe von Luschin5 (Elisabethstr. 34). Also auf angenehmes Wiedersehen hier!

Mit verbindlichstem Gruss
Ihr ergebener HSch

[Anhang: Anzeiger der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 44, 1907, Nr. VII, 33-35] „Das w. M. Hofrat Hugo Schuchardt überreicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Die iberische Deklination‘ und bemerkt über deren Inhalt folgendes. Die sogenannte iberische Frage bezieht sich in ihrem Kern auf die Verwandtschaft der iiberischen Sprache mit der ǀ34ǀ baskischen, welche seit W. von HumboIdt allgemein angenommen worden ist, allerdings nicht ganz ohne Widerspruch. Dieser ist jüngst in einer sehr bestimmten Form aufgetreten, indem man das Iberische den arischen Sprachen hat angliedern wollen. Dagegen wendet sich der Verfasser in der Einleitung, wobei er auch die bestrittene Gleichung Iliberri (Name einer baetischen Stadt) = bask. iri berri ,neue Stadt‘ von neuem stützt. Als Mittelglied zwischen dem hispanischen Iberisch und dem heutigen Baskisch stellt sich das Aquitanische dar, d. h. die Sprache, welcher die eigentümlichen Götter- und Personennamen der am Nordabhange der Westpyrenäen gefundenen Inschriften angehören; dieses Aquitanische darf als das Altbaskische angesehen werden. Im Hauptteil wird zunächst erörtert, welche Bedeutung für die Erkenntnis des Iberischen Hübners Monumenta linguae Ibericae (1893) besitzen. Was die iberische Schrift anlangt, so kann im allgemeinen sein Lesesystem, das auf den sorgfältig geprüften seiner Vorgänger beruht, aber den Wert gewisser Zeichen noch fraglich läßt, vorderhand als das beste bezeichnet werden; in den einzelnen Lesungen ist er aber nicht immer glücklich. Die Deutung des Sprachlichen hat er in direkter Weise kaum gefördert. Es gibt nun auch eine merkwürdige Gruppe von Inschriften, ostlusitanischen und callaekischen, in denen die lateinische Schrift verwendet erscheint. Ihrem Sprachcharakter nach sind die meisten noch ganz dunkel; eine aber um so deutlicher: crougintoudadigoe, welches abzuteilen ist: Crou-gin Touda-di-go-e, d. h. ,(geweiht der (Gottheit) vom Tuda der Crover' (Γρουίων Τοῦδαι Ptol.). Sonst sind es die Münzaufschriften, welche uns wichtige und sichere Aufschlüsse über Kasus- und Ableitungssuffixe geben. Drei Endungen stehen im Vordergrunde. 1. s-ce-n , wo -n Zeichen des Genetivs, -ce des Plurals ist und -s Völkernamen aus Ortsnamen ableitet, z. B. Ausa Name einer Stadt: *Aušes ,Ausetanus‘: Aušescen ,Ausetanorum‘. Die Griechen haben das iber. -es-, -is- in diesen Bildungen nicht selten gewahrt, z. B. Kaρπήσιοι = Carpetani; die Römer von den so zahlreichen hispanischen wie afrikanischen Ortsnamen auf -i nach Analogie von Neapolitanus Ableitungen auf -itanus gebildet. Hierin darf man nichts Iberisches suchen, höchstens in dem -e- der Variante -etanus. 2. -q(o)-m, wo -m ǀ35ǀ nach labialem Vokal das -n des Genetivs vertritt und -qo ein wahrscheinlich aus dem Keltischen entlehntes, noch im Baskischen außerordentlich häufiges Suffix ist, welches entweder von Ortsnamen Völkernamen oder von Personennamen Geschlechtsnamen ableitet. Mit dem letzteren Gebrauch wird die Bildung der spanischen Familiennamen auf -z in Zusammenhang stehen; wahrscheinlich verschmolz z. B. Lupicus und Lupi (filius), die beide das gleiche bedeuteten, nämlich ,Sohn des Lupus‘, zu einer Form Lupici, welcher span. López entspricht. 3. -qô-š, wo -š Zeichen des Instrumentals oder Ablativs ist. Am Schlusse weist der Verfasser auf die weiteren Aufgaben hin, an denen das Iberische beteiligt ist. Die wichigste, aber auch mit den größten Schwierigkeiten verbundene ist die Scheidung von Keltisch und Iberisch innerhalb der hispanischen Nomenklatur. Das Ligurische ist bei dieser Untersuchung ganz auszuschalten; es läßt sich weder auf der Halbinsel noch in der Gascogne eine sichere Spur davon nachweisen. Wiederum hat das Iberische große Bedeutung für das geschichtliche Studium der romanischen Mundarten. So scheint es, daß der Übergang der intervokalischen Tenuis zur Media hier schon lange vorbereitet war; z. B. wurde aus einem Ambatus, wie die Iberer für gall. Ambactos sagten, bei ihnen dann weiter ein Ambadus. Auch die klassischen Philologen sollten bei der Feststellung hispanischer Namensformen das unmittelbar überlieferte Iberisch nicht ganz außer acht lassen; es würde sich dann z. B. zeigen, daß Salduba für Salduvia Plin. III, 24 keine Verbesserung ist. Die Abhandlung wird in die Sitzungsberichte aufgenommen“.


1 Druckerei der Akademie; vgl. HSA NL Karabacek, 564-11,1.

2 S. u. Anhang.

3 Anzeiger der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 44, 1907, Nr. VII, 33-35 („Iberische Deklination“): Schuchardt referiert ausführlich den Inhalt seiner Studie (Text im Internet: https://archive.org/details/anzeiger44stuoft/page/33) [als Anhang an den vorliegenden Brief angefügt!]

4 Restaurant „Erzherzog Johann“ in Graz.

5 Arnold Luschin von Ebengreuth (1841-1932), österr. Rechtshistoriker, wohnte in Graz (im Winter) in der Merangasse 15, im Sommer in der Quellengasse 4.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek. Siehe: [Portal]/Österreichische Nationalbibliothek, " Schuchardt, Hugo, 1842-1927 [VerfasserIn] ; Karabacek, Joseph von, 1845-1918 [AdressatIn]" (Sig. 0564)