Hugo Schuchardt Archiv

Graz 11 Jänner
1902¹

Verehrter Herr Kollege,

Ich danke Ihnen nochmals für die mir rasch und liebenswürdig gegebene Auskunft, und werde Ihrem Rath mich an Kikh² zu wenden Folge leisten.

Ihren Brief, d. h. |2| den nach Palermo geschriebenen, habe ich nicht erhalten; vielleicht ist er mir nach Neapel nachgeschickt worden, und dort hatte ich allerdings über postalische Unzukömmlichkeiten zu klagen. Übrigens erforderte mein Brief eigentlich keine Antwort; ich habe immer das Bedürfnis gehabt und ihm nachgegeben über Dinge die |3| mich verdriessen, bei schicklicher Gelegenheit mich zu entladen. In den Kreisen der mir fachlich oder persönlich nahestehenden Kollegen in Wien habe ich mich immer sehr wohl gefühlt und ich habe hier in Graz die Liebenswürdigkeit derselben nicht genug zu rühmen gewusst. Anderseits habe ich aber doch bei einem und dem anderen der jüngeren Confrères etwas von Wiener Hochmuth gegenüber dem Provinzialen zu verspüren geglaubt. |4| Darauf kam es mir aber weiter nicht an, sondern nur auf die Beachtung der Formen. Doch lassen wir das nun auf sich beruhen. Es ist nicht gar zu wahrscheinlich dass ich am nächsten 28. Mai in Wien sein werde. Ich bin Ende November in recht schlechter Kondition aus Italien zurückgekehrt und habe mich noch keineswegs erholt. Nach dem herrlichen Wetter dessen wir uns jetzt erfreuen, droht uns ein schlechter Frühling und Frühsommer, und ich bin dann wohl wieder im Süden.

Mit herzlichem Gruss
Ihr ergebener und sehr erkenntlicher HSchuchardt