Hugo Schuchardt an Josef von Karabacek (07-0564-11,6)

von Hugo Schuchardt

an Josef von Karabacek

Palermo

14. 05. 1900

language Deutsch

Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Universitätsbibliothek Graz Anthropologische Gesellschaft in Wien Meyer, Gustav Katona, Lajos Inama von Sternegg, Karl Theodor von Gomperz, Theodor Graz Algier Ägypten Malta Tunis Sizilien

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Josef von Karabacek (07-0564-11,6). Palermo, 14. 05. 1900. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8430, abgerufen am 08. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8430.


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Palermo, Hôtel
Trinacria 14 Mai 1900

Verehrter Herr Kollege,

Ihr Brief ist mir hierher nachgeschickt worden und ich beantworte ihn sofort. Sie werden begreifen dass ich Ihnen von hier aus keine Daten über Meyers1 Leben und Wirken liefern kann. Mit irgend welchen unbestimmten oder unsichern Angaben wäre Ihnen nicht gedient. Doch will ich Sie darauf aufmerksam machen dass Meyer ein vollständiges Verzeichnis aller seiner Schriften hinterlassen hat, auch der kleinsten, und dieses der Grazer Universitätsbibliothek vermacht worden ist. Verschiedene Mittheilungen über Meyers innern Entwickelungsgang liess ich meinem ehemaligen Zuhörer L. Katona2 zukommen, der davon theilweise in seinem Nachruf in den Mitth. der |2|Anthr. Ges. XXX, 219-222 Gebrauch gemacht hat. Ich bedauere sehr Ihnen in dieser Angelegenheit nicht wirklich nützen zu können, bemerke aber dass auch von Graz aus ich irgendwelche näheren Angaben über seine mannigfachen Reisen nicht hätte machen können, da er keine Aufzeichnungen darüber hinterlassen hat.

Ich werde heuer mich nicht an den Wahlen und der Feier der Akademie betheiligen und wohl auch, selbst wenn ich am Leben bleibe, in den folgenden Jahren nicht. Und ich theile Ihnen den Grund dafür mit, und zwar ohne Sie zu bitten, denselben Andern gegenüber geheim zu halten.

Wenn man in eine geschlossene Gesellschaft eingeführt wird, und zwar eine solche mit beschränkter Mitgliederzahl, so muss man sich jedem Mitglied vorstellen. Darüber lässt sich nicht streiten, und Sie am wenigsten werden es mir bestreiten, von dem ich den Eindruck gewonnen habe dass Sie Korrektheit des Benehmens ebenso bei Andern schätzen, wie Sie sie sich selbst (Verzeihung wegen dieses schrecklichen Sigmatismus!) angelegen sein lassen. Für Einen aus |3| der Provinz mag es etwas schwer sein, in den paar Tagen sich allen Mitgliedern der beiden Klassen vorzustellen, aber wie ich es an mir erfahren habe, es geht. Für einen Wiener aber der meistens schon die Mehrzahl der Akademiker kennt, ist der Vorgang ein sehr einfacher. Obwohl ich nun beanspruchen darf von den jüngeren Akademikern ebenso behandelt zu werden wie ich die älteren behandelt habe, so bin ich doch weit entfernt davon die Sache auf die Spitze zu treiben, und wenn im Laufe der Jahre Einer oder der Andere das Vorstellen „verbummelt“ hat, so habe ich ihm das nicht weiter nachgetragen. Etwas Anderes ist es aber, wenn ein neu Eingetretener annehmen sollte, ich müsste mich ihm vorstellen lassen, nicht er sich mir. Was FM L. von Wetzer3 sich gedacht hat, als er mir und vielen Andern sich nicht hat vorstellen lassen, das weiss ich nicht; gerade bei einem hohen Offizier ist mir dies Benehmen unbegreiflich. Bei Sektionschef von Inama-Sternegg4 aber glaube ich mich allerdings zu der Vermuthung berechtigt dass er |4| der Ansicht war, ich als einfacher Professor hätte mich ihm als Sektionschef vorzustellen. Wenn innerhalb der Akademie solche hierarchische Anschauungen aufkommen und sich befestigen sollten, dann würde der Charakter unseres geselligen Verkehrs eine sehr ungünstige Umwandlung erfahren. Ich wenigstens würde mich dabei sehr ungemüthlich fühlen. Beim Dîner hatte Gomperz5 mich neben sich geladen; etwas später kam dann Inama und setzte sich auf die andere Seite von Gomperz, ohne auch dies Mal von mir irgend wie Notiz zu nehmen. So sprach denn Gomperz bald mit dem Andern; ein Gespräch zu Dritt fand nicht statt. Werden Sie es begreifen dass ich nicht wünsche mich weiterhin in solche Lagen versetzt zu sehen? Ich ersuche Sie, falls seitens des Herrn Präsidenten Einladungen ergehen sollten, denselben darauf aufmerksam zu machen dass ich für eine an mich gerichtete kaum rechtzeitig danken kann. Vielleicht wird mir aber eine solche gar nicht nachgesendet werden; wenigstens habe ich die gedruckten bez. hektographierten Mittheilungen, welche den Wahlen vorherzugehen pflegen, bis jetzt nicht erhalten, obwohl mir sonst Alles in geschlossenem Kouvert nachgeschickt wird.

|5| Ich füge noch hinzu dass ich sehr bedauert habe Sie bei Ihrer Anwesenheit in Graz (im verflossenen Winter) nicht mehr gesehen, d. h. nicht mit Ihnen gespeist zu haben. Ich fragte nach Ihnen beim Uhrmacher, im Hôtel und in der Kleinoschegschen Weinstube.6

Mein hiesiger Aufenthalt wird sich bis gegen Ende des Monats ausdehnen; ich werde wahrscheinlich in der Zeit da die Sechzig wählen und schmausen, einem Fischereikongreß hier beiwohnen. Ich bemühe mich u. A. die arabischen Einflüsse in der südromanischen Fischerei festzustellen; leider ist es mir bis jetzt nicht gelungen, aus Algier und Ägypten die gewünschten Auskünfte zu erhalten. Kürzlich habe ich mich in gleichem Sinne nach Malta und Tunis gewandt. Wenn |6| Ihnen einmal in der arabischen Litteratur irgend Etwas über Fischereigeräte aufstossen sollte, so bitte ich Sie, es mir nicht vorzuenthalten. Wenn Sie irgend etwas aus dem arabischen Sizilien brauchen, so stehe ich - soweit meine Kräfte reichen - zu Diensten.

Ihnen und allen mir
bekannten Akademikern
zum Maifest7 as Beste
herzlichst wünschend, ver
bleibe ich
Ihr ganz
ergebener
HSchuchardt


1 Gustav Meyer (1850-1900), deutsch-österr. Sprachwissenschaftler in Graz; er verstarb am 28.8.1900 in Feldhof bei Graz. Sollte Karabacek bereits zu diesem Zeitpunkt mit seinem Ableben gerechnet und Material für einen Nachruf gesammelt haben? Meyer war seit 1891 korr. Mitglied der Akad. d. Wiss. in Wien. Karabaceks Nachruf findet sich in Almanach der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 51, 1901, 325-330 (besteht zum größten Teil aus einer auf den August 1891 datierten Selbstbiographie.

2 Lajos Katona (1862-1910), ungar. Literaturhistoriker und Gymnasiallehrer.

3 Feldmarschall Leander von Wetzer (1838-1904), Militärhistoriker, Direktor des Kriegsarchivs.

4 Theodor Inama von Sternegg (1843-1908), deutsch-österr. Staatswissenschaftler, Statistiker und Wirtschaftshistoriker.

5 Theodor Gomperz (1832-1912), österr. Philosoph und Klass. Philologe.

6 Erste steirische Sektkellerei und Weingroßhandlung, ehemals mit Sitz in Gösting bei Graz in der Steiermark.

7 Die Statuten der Wiener Akademie waren am 14. Mai 1847 von Kaiser Ferdinand I. offiziell genehmigt worden.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek. Siehe: [Portal]/Österreichische Nationalbibliothek, " Schuchardt, Hugo, 1842-1927 [VerfasserIn] ; Karabacek, Joseph von, 1845-1918 [AdressatIn]" (Sig. 0564)