Richard Heinzel an Hugo Schuchardt (11-04553)

von Richard Heinzel

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

Unbekannt

language Deutsch

Schlagwörter: Herrigs Archivlanguage Deutschlanguage Slowenischlanguage Deutsche Dialekte Schleicher, August Wien

Zitiervorschlag: Richard Heinzel an Hugo Schuchardt (11-04553). Unbekannt. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8408, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8408.


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Sehr geehrter Herr Collega,

Ihre Idee finde ich gar nicht dumm sondern sehr hübsch. Aber die litterarischen Anstandsgründe kann ich nicht würdigen warum sollten nicht Bombe1 u. Floh2 citiert werden3 wenn sie verlässliches Sprachmaterial bieten. Besser als die Schreiber alter u. neuer Wiener Possen werden sie wol sein die hier gewiss das meiste dem Schauspieler überlassen wie kein Judendeutsch der Bühne. Aber so viel ich beurtheilen kann geben diese Judenblätter Floh usw. das Böhmische Deutsch in Wortstellung und Wortform schlecht wider, viel besser Figaro in Der Diener des Pan Obeleitnant. Der Verfasser ist auch wirklich ein Čeche Namens Masejdek.4 Andre Literaten kenne ich nicht – in alten Post-Artikeln steht einiges. Schleicher hat in Herrigs Archiv über Germanismen in Böhmen und ich glaube auch über Slavismen in Dtsch. geschrieben.5 Sehr aphorist. Bemerkungen. Über slowenisch. Deutsch weiß ich gar nichts als was Schroer in den Wiener SB über die Sprache des der Gottscheer bringt.6 Das Gottscheeische hat näml. einige Ähnlichkeit mit dem Deutsch das Slovenen sprechen. |2| z. B. b für w; ähnlich ist auch die Sprache der Deutschungarn der deutschsprechenden Magyaren. Aus dem Mittelalter fällt mir nichts ein. Natürlich schweige ich. Vielleicht ist das in Öst. weit verbreitete „auf etwas vergessen“ aus dem Slaw. wo man mit na (auf) construiert. Die Wiener Juden sagen dafür „an etwas vergessen“! wol in Erinnerung „an etwas denken“. Oder ist auch „auf etwas vergessen“ aus „auf etwas denken“ entstanden? „Wir unterhalten sich“ hat auch ein weites Gebiet. Das „owate“ (??) im Böhm. Dtsch ist wol nicht richtig. Aber es gibt natürlich eine Masse Stufen der Annäherung an das Deutsche im Böhm. (??)wird anders reden als ein Böhm. Polizeibeamter. Ich habe eine Sammlung von böhm. Phrasen die entweder dieselbe innere Sprachform zeigen wie die deutschen oder was wol wahrscheinlicher übersetzt sind. Die |3| Zeitungen werden wimmeln davon. Wenn Sie wollen stelle ich sie Ihnen zur Verfügung. Ich werde es so nicht verwerten.

Ergebenst

Heinzel

Ich bin bis letzten Juli in der Öd NÖ SW Balin,7 am 1. Aug. in Wien, dann in Traunkirchen Ob. Öst.


1 „Die Bombe“ war eine österr. Humoristisch-satirische Wochenzeitung, die in Wien von 1871 bis 1925 erschien. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Bombe_(1871%E2%80%931925)#/media/Datei:Die_bombe.jpg

2 Die Wochenzeitung „Der Floh“ erschien in Wien jeden Sonntag von 1869-1919

3 Gemeint ist vermutlich „ Allehand Geschicht brifate und brifatdienerliche, was erzählt Wenzl von Pan Oberleitnant“, in: Figaro. Humoristischer Volkskalender für das Jahr 1869 , S. 48-56, die Textparodie eines Deutsch radebrechenden tschechischen Offiziersburschen.

4 Nicht identifiziert, auch nicht unter anderer Schreibung.

5 August Schleicher (1821-1868), deutscher Sprachwissenschaftler; für diese Titel konnte kein Nachweis erbracht werden.

6 Karl Julius Schröer, Wörterbuch der Mundart von Gottschee, Wien: Gerold in Comm., 1870 (Aus: Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften ; phil.-hist. Klasse, Bd 60/1868 u. 65/1870) .

7 Balin ist ein Ort, der vor Vertrag von Saint-Germain zu Österreich-Ungarn gehörte und im Verwaltungsgebiet Krenau/Chrzanów lag.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04553)