Richard Heinzel an Hugo Schuchardt (09-04551)

von Richard Heinzel

an Hugo Schuchardt

Wien

25. 11. 1895

language Deutsch

Schlagwörter: language Deutsch Frankreich

Zitiervorschlag: Richard Heinzel an Hugo Schuchardt (09-04551). Wien, 25. 11. 1895. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8406, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8406.


|1|

Wien 25. Nov. 1895

Sehr geehrter Herr Collega

S. 8 oben haben Sie ja vollkommen recht.1 Ich hatte übersehen, dass Sie von Fällen sprechen, in denen der Deutsche Fremdwörter lernt unter Franzosen, von denen keiner Deutsch kann. Aber wenn Sie sagen man zeige ihm einen Apfel und sage ihm c’est une pomme, so ist das etwas irreführend, weil das nicht die gewöhnliche Weise ist, wie man unter Fremden deren Sprache lernt, nämlichen durch Hören der Worte pomme bei Gelegenheit eines vorliegenden Apfels, nicht durch direkte Belehrung: c’est une pomme.

Aber es gibt eben zweisprachige Individuen in Frankreich und Deutschland, welche wissen, aus Bü- |2| chern oder durch mündliche Unterweisung, dass Ludwig = Louis. Und wenn ein in Frankreich eingewanderter Deutscher auch mit solchen verkehrt, so wird er die Gleichung Ludwig = Louis ebenso lernen wie die von Apfel = pomme Schere = ciseaux, und nicht dadurch, dass man ihm sagt: Ludwig heisst auf französisch Louis.

S. 4 glaube ich jetzt, dass Sie ganz Recht haben zu sagen „Der Name Karl (Schneider) entzieht sich der Übersetzung, weil er sich der Definition entzieht“ – ich stimme also der eigentlichen These, wie Sie sehen, bei; – aber das folgende „weil alle die, welche so heissen, kein einziges Merkmal gemein haben“. Es ist doch ein gemeinsames Merkmal, wenn sie auf diesen Namen hören, antworten, sich mit ihm unterschreiben usw.

Richtiger, vorsichtiger wäre es, vielleicht zu |3| sagen: die Übersetzung oder Widergabe von Personennamen, Vornamen, in einer fremden Sprache vollzieht sich auf ganz andere Weise als die der übrigen Worte. (Das Lernen dieser Übersetzung vollzieht sich z. Th. auf dieselbe Weise wie bei den übrigen Worten, z. Th. auf verschiedene).

Ist die Widergabe von Personennamen in einer Gemeinschaft von Völkern stabilisiert, so geht für zweisprachige Individuen die Gleichung Voitěch = Adalbert, Vatroslav = Ignaz ebenso leicht vor sich als die von Begriffswörtern.

Besten Dank für den Nachweis über Synopsie.2 Farben bei Vorstellungen: höchst merkwürdig

Bestens grüssend

Heinzel


1 Vgl. HSA 04550.

2 Meist „Synopse“; „Form der Synästhesie, bei der nicht-visuelle Reize und Empfindungen den Gesichtssinn beeinflussen“ ( https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/synopsie/15204).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04551)