Anton Schönbach an Hugo Schuchardt (24-10169)
von Anton Schönbach
an Hugo Schuchardt
03. 08. 1900
Deutsch
Zitiervorschlag: Anton Schönbach an Hugo Schuchardt (24-10169). Schruns, 03. 08. 1900. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8310, abgerufen am 27. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8310.
[Schruns, 3.8.1900]
Lieber freund,
erst jetzt bietet sich die muße, Deinen guten brief zu beantworten, das heißt zunächst dafür zu danken. dadurch, daß ich nach der abreise von Graz gar nicht gleich hierher gegangen bin, sondern umherrollte1 und mir postsachen nicht nachkommen ließ, hat sich alles verschoben. ich habe erst aus den eintreffenden gratulationen mein schicksal erfahren2 und das billet des Ministers nachträglich unter dem einlauf gefunden. ich weiß auch zur stunde noch nichts genaues, wer sonst noch bedacht worden ist,
|2|und habe noch nicht ein zeitungsblatt darüber gesehen; nur Luick hat mir noch (pfui!) ein paar namen der philosophischen fakultät genannt (so schlecht schreibt man in den ferien!)
ich hatte nicht gemeint, daß der „hofrat“3 Dich an Graz fesseln würde, und wenn es so lautete, mich schlecht ausgedrückt; ich hatte nur sagen wollen, daß die sorge, welche Deine pensionierung mir macht, durch Dein verbleiben in Graz in etwas gemildert werde. und das meine ich allerdings auch. wir treffen im allgemeinen wenig zusammen, und das liegt ja zum teil an meinem körperlichen elend. aber jedesmal, wenn ich eingehend mit Dir reden kann, freue ich mich herzlich und zehre noch lange daran, und ich bitte Dich, mir auch in hinkunft das nicht zu versagen. –
|3|hier geht es mir ganz erträglich. zur arbeit komme ich freilich gar nicht, trotzdem ich mir vorgenommen hatte, die fehlernte des abgelaufenen schuljahres hier einigermaßen zu ergänzen. aber das wetter ist so schön, daß ich spazieren gehe, so viel ich kann; in folge dessen werde ich müde und zu jeder art geistiger tätigkeit unlustig. ich hoffe nur, daß ich mich hinlänglich zusammenrapple, um vom september an ins geschirr zu gehen, wie sich[’s] gehört. –
was ist unter die Romanisten gefahren? Stürzinger4 muss durch Schneegans5 abgelöst werden (die Erlanger wollen Schulz-Gora6) und Wendelinus7 muß sich während des nächsten Semesters vertreten lassen, was kann dem mann bei seiner eisernen gesundheit fehlen?
|4|mit dem grössten interesse habe ich Deine probevorlesung8 durchgenommen. äußerlich teilen wir das schicksal: auch meine habilitationsvorlesung (über die Parzivalsage) ist nicht gedruckt worden, weil ich vorher noch keltisch lernen wollte, wozu es nicht kam. aber schwerlich würde sich mein elaborat heute als ein so fest und doch elegant construiertes gebäude erweisen wie Deine betrachtungen über die klassifikation der romanischen mundarten. sie werden auch jetzt noch den er/überforschern dienlich sein: auf ahd. gebiete passieren ganz ähnliche schwierigkeiten heute ohne anstand. –
zu Herkulesbad und der erholung vom Baskischen alle meine guten wünsche.
in treuer ergebenheit
Dein
Schönbach
Schruns, Vorarlberg,
3.8.1900.
1 Gem. „umhertrollte“?
2 Auch Schönbach wurde 1900 zum Hofrat ernannt!
3 Vgl. HSA 10168.
4 Jacob Stürzinger (1853-1903), Schweizer Romanist, Lehrtätigkeit in München, Tübingen und Würzburg; vgl. HSA 11353.
5 Heinrich Schneegans (1863-1014), deutscher Romanist in Straßburg, Erlangen, Würzburg und Bonn; vgl. HSA 10134.
6 Oskar Schultz-Gora (1860-1942), deutscher Romanist in Königsberg, Straßburg und Jena; vgl. HSA 10422-10423.
7 Wendelin Förster (1844-1915), deutsch-österr. Romanist in Prag und Bonn; vgl. HSA 03092-03106. – Zu seiner Erkrankung vgl. HSA 03099 (5.10.1900).
8 Schuchardt, Über die Klassifikation der romanischen Mundarten. Probevorlesung gehalten zu Leipzig am 30. April 1870. Graz: Styria, 1900.