August Sauer an Hugo Schuchardt (03-09950)
von August Sauer
an Hugo Schuchardt
27. 06. 1886
Deutsch
Schlagwörter: Breitkopf und Härtel Meyer, Gustav (1895)
Zitiervorschlag: August Sauer an Hugo Schuchardt (03-09950). Prag, 27. 06. 1886. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8267, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8267.
Prag II Stefansgasse 3.
27.6.86.
Lieber Freund!
Ich wollte mit der Beantwortung Deines Briefes und der Übersendung des beiliegenden Bildes, das um freundliche Aufnahme bittet,1 eigentlich warten, bis Dein angekündigter Brief bei mir eintrifft; oder besser gesagt ich hielt diesen Zeitpunkt für nahe bevorstehend. Aber Photographien gleichen eher Schmetterlingen; husch! sind sie fort und ich will
|2|nicht, daß sie ihren eigentlichen Zweck verfehlen.
Betreffs meiner Recension2 kannst Du ganz ruhig sein; ich werde keine Parallele zwischen Euch beiden ziehen und werde mich nicht auf den Standpunkt des Prager Deutschen stellen, auf den ich noch nicht herabgesunken bin. Überhaupt wirst Du Dich mit einem Referat zufrieden geben müssen; meine nächsten Arbeitsgebiete berühren sich ja mit Deinen Aufsätzen wenig.
Ich bin nun ruhig in meine Thätigkeit eingesponnen, einsam in der alten Bücher-Umgebung und wenn ich alles in allem nehme: zufrieden. Die Sorgen sind wie
|3|die Raupen. Haben sie sich eingenistet, so fressen sie einen ganzen Baum ab. Erst wenn sie ganz weggebrannt sind, kann neues gedeihliches Leben wieder aufsprießen; und so – hoffe ich – wird’s bei mir sein. –
Etwas einsam ist mir noch immer zu Muthe. Obgleich ich mit Kelle3 Thür an Thür wohne, so habe ich doch wenig Verkehr mit ihm; es ist kein gemeinsames Leben wie in der Brandhofgasse.4 Und obgleich ich mit Brandl5 in ebenselbem Hause wohne, so macht mir das den verschlagenen Tiroler6 doch nicht sympathischer. Andere Collegen kenne ich noch sehr wenig. Die Ordinarien sind alle stolz, hofrätlich-herablassend; Fournier7 affectirt vom Scheitel bis zur Sohle. Am nettesten die Philosophen Jodl8 und Marty9; der erstere noch dazu mit einer reizenden Frau, einer Münchnerin begabt. Alwin Schulz10 unausstehtlich. Mein eigent-
|4|licher Umgang ist auch hier die alte Geschichte: Jung11 und Swoboda12.
Frau Kremer ist in ihre Vereinsgeschäfte so versenkt, daß man gar nichts von ihr hat.13
Gegenwärtig ist sie etwas in Verschiß erklärt, da sie sich einer gänzlich compromittirten Familie angenommen hat; ihr Mann soll sehr krank sein (Juckunruhe!).
Meyer14 hätte jetzt wieder Aussicht, Theaterdirector in Graz zu werden. Aus seinem Briefe – bitte, sag ihm das – bin ich nicht klug geworden, wohin ich diesmal, für den 4. Band Meyer das Geld schicken soll;15 nach Graz oder Leipzig. Für eine Antwort wäre ich ihm – um den ersten herum – sehr dankbar. Bitte, grüße ihn von mir vielmals.
Ich werde während der ganzen Ferien in Wien sein und würde mich freuen, wenn durchreisende Freunde nicht an mir vorübergingen: IX. Pelikangasse 10 (Seitenstraße der Alserstrasse.) 2 Stock
Mit herzlichen Grüßen
Dein Ergebener
AS.
1 Nicht erhalten.
3 Johann von Kelle (1828-1909), deutsch-österr. Germanist, seit 1857 o. Prof. in Prag; vgl. HSA 05496.
4 Dort, in Graz, wohnten Schuchardt und Sauer nahe beieinander.
5 Vincenz Brandl (1834-1901), aus Alt-Brünn (Staré Bruno) stammender Historiker, mährischer Landesarchivar.
6 Sollte Brandl gemeint sein, so irrt sich Sauer über seine Herkunft.
7 August Fournier (1850-1920), seit 1833 Prager Ordinarius für neuere Geschichte.
8 Friedrich Jodl (1849-1914), deutscher Philosoph und Psychologe, von 1885 bis 1896 Professor in Prag; vgl. HSA 05137.
9 Anton Marty (1847-1914), Philosophieprofessor; vgl. den Kommentar zur Edition von HSA 0676-06884.
10 Alwin Schulz (1838-1909), von 1882-1903 o. Prof. für Kunstgeschichte in Prag.
11 Julius Jung (1851-1910), aus Tirol stammender österr. Althistoriker, seit 1877 zunächst a.o., ab 1884 o. Prof. in Prag.
12 Heinrich Swoboda (1856-1926), österr. Althistoriker, seit 1891 zunächst a. o., ab 1899 o. Prof. in Prag.
13 Lidvina / Lidwina / Lidwine Edle von Kremer-Auenrode, geb. Delia / Deligath (1848-?), Frau des Juristen Hugo Kremer von Auenrode (1833-1888); vgl. HSA 05792-05818.
14 Georg Friedrich Unger (1826-1906), deutscher Althistoriker.
15 Es handelte sich vermutlich um einen Band von Meyers Albanesischen Studien, von denen von 1883 bis 1898 insgesamt sechs Bände erschienen. Der 4. Band ( Das griechisch-südrumänisch-albanesische Wortverzeichnis des Kavalliotis) kam allerdings erst 1895 heraus, auch wurden alle in Wien publiziert. Anderes erschien allerdings bei Breitkopf und Härtel in Leipzig.