Wilhelm Rullmann an Hugo Schuchardt (29-09842)

von Wilhelm Rullmann

an Hugo Schuchardt

Schlüchtern bei Fulda

06. 02. 1914

language Deutsch

Zitiervorschlag: Wilhelm Rullmann an Hugo Schuchardt (29-09842). Schlüchtern bei Fulda, 06. 02. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8221, abgerufen am 12. 07. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8221.


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Schl. 6/2 [1914]

Lieber alter Freund!

Du darfst nicht glauben, dass ich deines 72. Geburtstags nicht gedacht hätte. Ich habe an dem durch dein Erscheinen auf der Weltbuehne ausgezeichneten 4 Februar ein Glas Wein auf dein Wohl getrunken, aber ich war leider nicht in der Lage, etwas von den Wuenschen und Gedanken, die mir an diesem denkwuerdigen Tage durch den alten mueden Kopf gingen, dir auf schriftlichem Wege mitzuteilen. Es fehlt mir ja auch sonst nicht an Abwechslung, ich werde bald von der Gicht, bald von fieberhaftem Rheuma heimgesucht, aber nun hat sich dazu ein Augenleiden gesellt, das die von mir erworbene[n] Kenntnisse auf dem Gebiete der Altersbeschwerden um ein neues Kapitel vermehrt hat. Die Tränen, die ich hier in meiner taroklosen Einsamkeit vergossen hatte ueber das Elend des menschlichen Daseins im Allgemeinen und die Trostlosigkeit des Alters im Besonderen hatten eine Augenentzuendung hervorgerufen und der Arzt hatte mir jeden Verkehr mit meiner geliebten Schreibmaschine – dem einzigen weiblichen Wesen, mit dem ich noch ein intimeres Verhältnis unterhalte – auf das Strengste untersagt, und erst heute war es mir moeglich, diesen intimen Verkehr wieder aufzunehmen. Also nimm, bitte, meine etwas post festum abgehenden, darum nicht minder warmen Glueckwuensche freundlichst entgegen und lass bald etwas von dir hoeren

deinen alten Freund
Wilh. Rullmann.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09842)