Wilhelm Rullmann an Hugo Schuchardt (16-09829)
von Wilhelm Rullmann
an Hugo Schuchardt
02. 02. 1909
Deutsch
Schlagwörter: Frankfurter Zeitung Neue Freie Presse Schönbach, Anton Hoernes, Rudolf Gutmann, Leon
Zitiervorschlag: Wilhelm Rullmann an Hugo Schuchardt (16-09829). Schlüchtern bei Fulda, 02. 02. 1909. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8208, abgerufen am 10. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8208.
2/2 09 Schlüchtern b/Fulda
Lieber alter Freund!
Besten Dank für Deinen letzten Brief, den ich erst heute zu beantworten die Zeit finde. Du weißt ja am Besten, was man alles zu tun hat, wenn man sich i. R. befindet.
Was die Affaire Schönbach1 betrifft, so hätte ich die Schimpfereien des Herrn Hofrats als übelduftende Veilchen im Verborgenen blühen lassen und die Einsendung der Dame nicht aufgenommen, schon aus Rücksicht auf die Universität, die durch derartige Geschichten an Ansehen gewiß nichts gewinnt. Aber nachdem die Sache einmal in der Öffentlichkeit be- |2| kannt geworden, so begreife ich nicht, wie sich Leute fanden, die den Herrn Hofrat in Schutz nahmen, nachdem derselbe jedem Ehemann u. jedem Vater einer erwachsenen Tochter das Recht gegeben, ihn auf der Straße anzuspucken. Das Komische bei der Sache ist nun, daß der Herr Prof. Hörnes2 sich als Einsender der scharfen Notiz in der „Tagesp.“ bekannt hat, Hörnes, dessen Gattin bereits vor Jahren das Jubiläum ihres 100. Verhältnisses feiern konnte. Ich sage ja, was man alles erlebt.
Da Du über Liel’s3 Krankheit und Tod was Näheres erfahren |3| möchtest, so schicke ich Dir anbei Gutmanns4 Karte, die ich erst gestern erhalten. Er ist an der Krankheit gestorben, an der ich seit Jahren leide, an Blutleere. Jetzt nehme ich schon seit letztem December Ferratin, das günstige Wirkung zu haben scheint; was mir aber besonders gut getan, ist die kalte Luftkur auf meiner Veranda, bei der mich die prächtige Witterung (14 Tage Sonnenschein u. blauer Himmel bei 3-4° Kälte!) wirksam unterstützt hat. Ich kann doch jetzt wieder ½ Stunde gehen und schlafe besser als seit Jahren, nachdem ich scheußliche Nächte durchwacht, deren Qualen sich nicht beschreiben lassen. |4| Glaube nicht, daß mein Leiden Einbildung war. Wenn man beim Spaziergang auf einmal einen zweimaligen Ruck im Gehirn verspürt, ohnmächtig wird und auf der Straße zusammenbricht, so ist das keine Einbildung.
Ob ich Beziehungen zur Frankfurter Ztg. habe? Ja, seit Herbst 1869, also seit 40 Jahren. Früher auch persönliche, als mein im vorigen Jahr verstorbener Freund Mamroth5 war. 2 von den 3 Feuilletons, die im vorigen Jahre von mir in der Frkf. Z. erschienen, habe ich Dir ja geschickt. Jetzt ist das Blatt ganz verjudet, mehr noch als die „N. Fr. Pr.“ Wünschtest Du eine Empfehlung, so steht sie zur Verfügung.
Herzlich grüßend
Dein alter Freund
Wilh Rullmann
1 Anton Emanuel Schönbach (1848-1911), österr. Germanist, seit 1873 Prof. in Graz. Einzelheiten der „Affäre“ Schönbach wurden nicht ermittelt.
2 Rudolf Hoernes (1850-1912), österr. Geologe u. Paläontologe; er war seit 1877 verh. mit Jenny, der Tochter des Mineralogen August Emanuel von Reuß (1811-1873) in Prag und Wien.
3 Nicht identifiziert; möglicherweise ein Verwandter von Wilhelmine Benussi geb. Liel von Bernstett (1869-1941), der Frau des Grazer Psychologen Vittorio Benussi (1878-1927).
4 Leon Gutmann, 1906/07 in Basel promovierter Mediziner, später in Graz. - Karte nicht beigefügt. Vgl. aber HSA 04251-04252.
5 Fedor Mamroth (1851-1907), aus Breslau stammender Journalist, promovierter Literaturwissenschaftler, arbeitete bei verschiedenen österr. Zeitungen und leitete seit 1889 das Feuilleton der Frankfurter Zeitung.