Adolf Bauer an Hugo Schuchardt (26-00637)

von Adolf Bauer

an Hugo Schuchardt

Wien

01. 02. 1918

language Deutsch

Schlagwörter: Wien

Zitiervorschlag: Adolf Bauer an Hugo Schuchardt (26-00637). Wien, 01. 02. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8189, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8189.


|1|

Wien 1. Febr. 18

Lieber Freund!

Bei Deinem letzten, nach Ausweis der Kopfleiste 8/9.1.18 geschriebenen Briefe habe ich vergeblich die Stelle gesucht, an der sich der am 9. geschriebene Teil von der Leistung des Vortages scheidet – denn das kann ich doch nicht annehmen, daß Du zu mitternächtiger Zeit jetzt Deine Korrespondenz besorgst.

Ich habe jetzt kurz nacheinander von zwei Gewährsdamen zu meiner Freude gehört, daß es Dir gut geht, oder genauer gesagt, ich habe das in den Briefen dieser Damen gelesen.

Ich wollte Dir schon lange für Deinen letzten Brief danken und nun trifft es sich, daß wie Du am 8/9 so ich heute etwas über den pp. Ettmayer schreiben kann. Am 30. Fand bei großer Überheizung die Fakultätssitzung im historischen Seminar statt, weil der Sitzungssaal nicht zu heizen ist; das Lokal war über die Maßen voll und auf der Tagesordnung stand als 5 Punkt ein Kommissionsbericht betreffend die romanistische Lehrkanzel. Ich war darauf sehr

|2|

neugierig, weil ich dachte die Angelegenheit der Nachfolge Beckers sei schon in der Dezembersitzung erledigt worden.

So war es auch, aber Ettmayer, der in der Kommission als Antragsteller Blut geleckt hatte, war noch mit anderen Anträgen herausgerückt, deren Verhandlung in der Fakultät die Kommission noch aufgeschoben hatte, um den Antrag po. der Becker’schen Lehrkanzel nicht zu beeinträchtigen.

Der eine von E.s Anträgen einen hier vorhandenen Nichtportugiesen, der aber ein hervorragender Kenner von Südamerika ist, zum Lektor für Portugiesisch zu bestellen ging glatt durch, dagegen der Antrag, sogleich den jetzigen Ordinarius für Rumänisch1 von Czernowitz nach Wien zu berufen, hatte schon in der Kommission den Widerstand aller anderen Mitglieder hervorgerufen.

|3|

Ein von Hauler2 verfaßtes Majoritätsvotum setzte die zahlreichen Gründe, die dagegen sprachen, auseinander und beantragte Vertagung.

Ettmayer hatte aber offenbar schon unvorsichtiger Weise sich mit dem Czernowitzer, dessen Name mir entfallen ist, eingelassen und mußte daher allein bei seinem Antrag auf sofortige Ernennung verharren. Erst las er sein Minoritätsvotum vor, dann Hauler das Majoritätsvotum, dann hielt Ettmayer eine lange Rede, in der ihn der Dekan mit dem Hinweis auf die vorangeschrittene Zeit unterbrach. Sie war einer Darlegung des besonderen Charakters des Rumänischen gewidmet und behandelte die Streitfrage, ob die romanische Philologie durch eine Professur oder durch mehrere Professoren für die verschiedenen romanischen Sprachen vertreten werden solle, erörtete die Notwendigkeit neben der Sprache und Etymologie auch stilistische Studien von den Studenten

|4|

zu fordern, und verlangte für diesen neuen Professor ein rumänisches Institut, das aber, da darin rumänisch gelehrt werden müßte, und Wien eine deutsche Universität sei, mit der Lehramtsprüfungskommission verbunden werden solle.

Dieser Einfall löste ziemlich allgemeine Heiterkeit aus und hatte zur Folge, daß Strzygowski,3 der übrigens selbst eines ebenso unmöglichen Vorschlages fähig wäre, den Antrag stellte die Beschlußfassung über den Gegenstand auszusetzen. Dagegen wehrte sich Ettm., der um jeden Preis sein Elaborat ans Ministerium bringen wollte, heftig aber umsonst. Die Beschlußfassung wurde fast einstimmig vertagt und Ettm. der Rat erteilt, er solle als Privatmann und Professor sein Elaborat ans Ministerium schicken, was er wieder erklärte nicht zu tun, weil er als Fachmann und Facultätsmitglied aufzutreten wünsche. In diesem Tumult sind wir um 8 Uhr, seit 5 Uhr sitzend, auseinander gegangen.

Von Robi haben wir Nachricht, daß er mit dem Rgmt. in einem Ort in Tirol seit 24. d. M. auf Retablierung ist. Daraus ist zu entnehmen daß eine Zeit der Kämpfe vorangegangen ist. Am 4. d. M. beginne ich meine Vorlesungen wieder. Die Meinen grüßen Dich herzlichst mit mir.

In stets gleicher Gesinnung

Dein treuer
Adolf Bauer


1 Sollte Eugen Herzog (1875-1928), Schüler Meyer-Lübkes, gemeint sein?

2 Edmund Hauler (1859-1941), Klass. Philologe in Wien.

3 Josef Strzygowski (1862-1941), österr. Kunsthistoriker, Professor für Kunstgeschichte in Graz, und von 1909 bis 1933 in Wien; vgl. HSA 11346-11350.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 00637)