Adolf Bauer an Hugo Schuchardt (22-00633)
von Adolf Bauer
an Hugo Schuchardt
21. 11. 1917
Deutsch
Zitiervorschlag: Adolf Bauer an Hugo Schuchardt (22-00633). Wien, 21. 11. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8185, abgerufen am 01. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8185.
Wien, 21. Nov. 17.
Lieber Freund!
Es war meine Absicht, daß Du von dem Elaborat E.‘s überhaupt nichts erfahren solltest – nicht als ob darin Arges enthalten gewesen wäre, es war nur ein sehr langer Versuch einer Palinodie und „Erklärung“ – sondern weil ich Dir die abermalige Beschäftigung mit der Angelegenheit ersparen wollte. Dies habe ich als meine Ansicht und Absicht auch Luick gegenüber ausgesprochen, der mit mir darüber sprach, ob man Dir davon schreiben solle und selbst anscheinend die Absicht hatte, es zu tun. Mela, die mich das Schriftstück lesen sah, habe ich allerdings nichts gesagt, daß sie nicht davon schreiben solle und so hast Du nun doch davon Kenntnis bekommen. Ich schreibe Dir also, was ich davon weiß und was ich mich von dessen Inhalt noch erinnere.
Es stak in einem Couvert und war an Dopsch, mich, Kretschmer, Redlich und Luick adressiert (x ob auch an Much erinnere ich mich nicht mehr, glaube es aber nicht, jedesfalls sonst an Niemanden). Mir gab es Dopsch mit der mündlichen Bemerkung, er habe
|2|es von E. bekommen, der die Herren bitte es zu lesen und dann an den nächsten weiter zu geben. Ich las es und gab es Redlich weiter, nicht ohne ihm zu sagen, daß ich das wortreiche Elaborat wenig geeignet fände, die an Dich gerichteten Schriftstücke verständlicher zu machen und deren Ton zu entschuldigen.
Das Schriftstück umfaßte 8-10 eng geschriebene Folioseiten; fast 2 Blätter der ursprünglich noch umfänglicheren Darstellung waren herausgeschnitten, aber ein paar kurze Anmerkungen zu dem Entfernten stehen geblieben. Er hat also wahrscheinlich auf Jemandes Rat etwas, aber nicht vollständig gekürzt.
Er knüpfte an Deine hektogr. Zusendung an von der er Kenntnis erhalten habe, und unterschied in der Sache eine persönliche und eine sachliche Seite. Auf die erste, die eine 20jähr. Vergangenheit habe, wolle er nicht eingehen, da er zu weit ausholen müßte und in seinen Schriftstücken Wendungen und Anspielungen – z. B. das Dantezitat – seien, die überhaupt nur Du und er verstehen könnten.
Darüber habe er in einem an Dich gerichteten 2ten Bf., der die persönliche Seite erörtere, gehandelt, der von Interessenten bei ihm eingesehen werden könne.1
Als ich mit Luick besprach, Dir von der Sache
|3|nichts zu schreiben, äußerte ich zugleich mein Bedauern darüber, daß E. dies nochmals getan hätte, und bekam die Antwort, daß dies nicht geschehen sei, weshalb wir beide unser Erstaunen äußerten, daß der Confusionarius diese Stelle gleichwohl habe stehen lassen, also auch im Text eine Stelle stehen blieb, die in der beabsichtigten Schlußbemerkung hätte wegbleiben müssen.
Hierauf folgte als Hauptinhalt des Elaborates der „Versuch“ E’s den Hauptinhalt Deiner Darlegungen zusammenzufassen und übersichtlich darzulegen und dann als Erklärung dafür, weshalb er dadurch zu so hastiger Erwiderung veranlaßt worden sei, Deine Ablehnung der romanischen D ialektforschung als eines geeigneten Mittels, die letzten und tiefsten Probleme der Sprachforschung zu lösen, obwohl Du doch selbst da neue Wege gewiesen hättest, die ihm, wie er ausführt, verheißungsvolle Ausblicke gestatten. Durch Deine Resignation und Deine Einschränkungen hättest Du Dich auch gegen Ascoli gestellt und dem sprachwissenschaftlichen „Jakobiner“ Paul Meyer2 eine Stütze gewährt u. s. w. Ich kann natürlich für den Wortlaut außer Anführungszeichen nicht mehr einstehen, habe aber aus dem ganzen sehr jugendlichen und die gekränk-
|4|te Leberwurst betonenden Schriftstück den Eindruck gehabt, daß es auch aus diesem Grunde ganz gut ist, wenn Du davon nichts erfährst.
Ich habe Redlich,3 Dopsch4 und Kretschmer5 seither wiedergesehen; keiner hat auch nur einen Ton darüber verlauten lassen; in der nächsten Akademiesitzung werde aber ich diese Herrn darauf anreden und Dir dann berichten. Ich meine aber auch jetzt noch, daß Du die Sache als für Dich abgetan betrachten solltest, etwas worüber Du Anlaß hättest persönlich oder sachlich nochmals das Wort zu nehmen, war nach meinem auf zweimaliges Lesen gestütztem Eindruck nicht darin und ich habe z. B. Dopsch und Redlich im Verdacht, daß es ihnen überhaupt zu langweilig war, die Sache auch nur einmal ganz zu lesen.
Mit herzlichen Grüßen
Dein
Adolf Bauer
1 Im HSA ist dieser Brief nicht erhalten.
2 Paul Meyer (1840-1917), franz. Romanist, Weggefährte von Gaston Paris; vgl. HSA 07201-07212.
3 Oswald Redlich (1858-1944), österr. Historiker; vgl. HSA 09172-09174.
4 Alfons Dopsch (1868-1953), österr. Historiker.
5 Paul Kretschmer (1866-1956), deutsch-österr. allg. Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 05824-05832.