Adolf Bauer an Hugo Schuchardt (04-00615)

von Adolf Bauer

an Hugo Schuchardt

Graz

04. 08. 1898

language Deutsch

Schlagwörter: Fremden-Blatt

Zitiervorschlag: Adolf Bauer an Hugo Schuchardt (04-00615). Graz, 04. 08. 1898. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8167, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8167.


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Graz 4. Aug. 98.

Lieber Freund,

vor allem muß ich Dir nachträglich ein Geständnis machen, das auf der Postkarte nicht mehr Platz fand und um Indemnität bitten. Ich habe Dein freundliches Anerbieten bezüglich der Cigaretten eigenmächtig auf drei alte Briefmarken ausgedehnt, deren Anblick ich einer Indiscretion verdanke. Während nämlich Maria Postbegleitscheine besorgte und bei Auhammer (??) Gewichtsproben wegen der Vertheilung der Bücher auf die Pakete vornahm, hatte ich nichts zu thun. Müssiggang ist aller Laster Anfang, und so nahm ich von dem Büchergestellt einen der mit KRE bezeichneten Kartons herab und schnüffelte, ohne jedoch die vorhandene Ordnung zu stören, zwischen den Blättern umher. Da stieß meine Hand auf eine Correspondenzkarte und ein moderndes Zeitungsblatt aus Macao, auf der Adreßseite jener klebten zwei Marken von Venezuela und auf diesen in der Nähe des Titels eine 20 Reis Marke. Ich löste alle drei von ihrem Grunde ab, und steckte sie in meine Westentasche und gab sie meinem Sohn Wilhelm. So geschah das Ungeheure. Ich gewann die Überzeugung, daß Deine kreolischen Studien nach dieser Richtung noch eine Nachlese lohnen könnten.

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Die Geschichte mit Erwin1 verlief so, daß Graff‘s2 von ihm selbst bereits eine Karte hatten, auf der er von dem Unfall seines Begleiters Mittheilung machte, und schrieb, daß er von den herabfallenden Steinen nur einige unbedeutende Abschürfungen und eine zerbrochene Feldflasche abbekommen habe. Die weit allarmierenderen Nachrichten standen erst zwei Tage später in den Zeitungen, da man in Prags,3 wo Erwin sein Standquartier hat, reinen Mund hielt, und die Sextner Führer, die Domernig nach der Bahn transportiert hatten, erst nach ihrer Rückkehr nach Landro4 davon erzählten und von dort aus die Wiener und andere Blätter benachrichtigt worden sind. Erwin scheint scheint zuerst allerdings einen starken Eindruck gehabt zu haben, denn er schrieb gleichzeitig, er werde in 8 Tagen zu Hause sein, obschon er noch 3 Wochen hatte ausbleiben wollen. Aber in der Jugend ist ihm ein froher Gefährte der Leichtsinn, einige Tage darauf kam eine Karte mit der Nachricht, daß er wieder auf einer größeren Tour sei und daß vor 6-8 Tagen Nachrichten überhaupt nicht eintreffen würden.

Die Geschichte mit dem Mediciner Prem ist kein vereinzelter Fall, sondern gehört in eine ganze Reihe von gleichartigen, in denen der Staatsanwalt „über“ Auftrag von Wien gegen das vom hiesigen „unabhängigen“ Richter-

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stand verhängte Strafausmaß Berufung einlegt und die Strafe von dem Appellgericht dann erhöht wird. Ein bei den Annensälen tumultuierender Bäckergeselle ist auf demselben Wege auch von 3 zu 6 Monaten verurtheilt worden. In dem Falle des Mediz. Prem ist die Sache darum besonders empörend, weil sein Gegner bei dem Duell im Seligerhof, der bosnische Offizier, straflos ausgieng. Das ist das eine der beiden Duelle auf die der ritterliche Hausbesitzer so stolz ist; schade nur, daß er nicht hinzugefügt hat, daß die beleidigende Provocation des Studenten in einem Hurenhaus stattfand, das der Offizier in Uniform zu besuchen keinen Anstand nahm.

Ich habe mir noch hin und her überlegt, ob ich meinen Brief in der Sache Audiatur et altera pars abgehen lassen soll. Ich bin nun entschlossen es nicht zu thun. Ich weiß, daß der Verfasser diesen Artikel erst der Reichswehr,5 dann der Tagespost angeboten hat, er ist im Extrablatt vom 28. Juni datiert. Den 11. Juni hat mir Rocholl6 geschrieben: möge Dein Artikel von berufener Hand Widerlegung finden. Trotzdem Du Dich mit demselben mit meinem Stand derart in Gegensatz gesetzt hast, hoffe ich, daß unsere persönliche Freundschaft auf haltbareren Füßen steht, als daß ähnliche Anlässe sie kurzweg umwehen können, das ist, wie ich Dir d ie bündige Versicherung gebe, mei-

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nerseits der Fall, denn ich trenne den Menschen von seiner Politik auch dann, wenn der Kampf die einzige intensive Beschäftigung der Menschheit zu werden beginnt. In gleicher Freundschaft wie bisher Dein Rocholl.

Den 13. hatte ich ihm angeboten, ihm den Artikel in der Zeit zu schicken, ihn zu besuchen, damit wir uns über die Sache aussprechen. Das lehnte er am 14. Juni mit den Worten ab: ich denke wir lassen die Sache auf sich beruhen und kommen darauf nicht wieder zurück. Ein Aussprechen würde nach meiner vielfach gewonnenen Erfahrung, selbst bei gegenseitiger voller Mäßigung ein negatives Resultat behalten (sic).

Da der Schreiber dieser Sätze sich mir nicht selber als Verfasser bekannt hat, so glaube ich nicht, daß ich ihn fragen kann, ob er es sei oder nicht, weil mir andere ihn als Verfasser bezeichnet haben und ich ihn dafür halten muß. Sollte ich ihn irgendwo treffen und er davon anfangen, dann werde ich die Frage stellen, die zu einem formellen Bruch führen muß, da mit Jemandem, der gleichzeitig solche Briefe und solche Artikel schreibt, eine Auseinandersetzung wirklich ausgeschlossen ist. Der Artikel gehört in das Gebiet jener Gemeinheiten, die mit der vulgären Auffassung von der Offiziersehre ganz gut vereinbar sind, weil der Verf. die komische Ansicht hat, mit dem letzten Satz: „ich stehe zur Verfügung“ lasse sich alles vorher

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gehende moralisch rechtfertigen. Dieser Ehrbegriff geht nicht weiter als der Ruch seines Inhabers, ich nehme zur Ehre des Offiziersstandes an, daß nur ein Theil dieser Auffassung seine Zustimmung geben würde.

Von Mela7 wirst Du jetzt einige Tage keine direkten Nachrichten bekommen, sie dankt für die Blumen und die Kinder8 für die guten Sachen, die Marie in Deinem Auftrage gebracht hat. Vor 14 Tagen ist Mela am Mittelfinger der rechten Hand von einem Insect gestochen und entweder durch dieses oder durch das englische Pflaster das sie aufgelegt hat inficiert worden. Vorgestern hat Ebner9 den Furunkel, der entstanden war, aufgeschnitten und da die Schmerzen nicht aufhörten, hat er gestern noch einmal nachgeschnitten, wie ich hoffe nun mit endgiltigem Erfolg.

Gestern hatten wir Besuch von einem Onkel und einer Tante Melas, die mit ihrer Muttter in Aflenz10 sind, und die heute Hilla11 auf einige Tage mitnehmen. Ich möchte, daß Mela sie in 6 Tagen wieder abholt und dann selbst 1-2 Tage oben bleibt, eventuell mit Willi.12

Was jetzt über Bismar[c]k geschrieben und geredet wird, ist nicht

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nicht oder doch meist nicht erträglich. Unser gemeinsamer Freund Zwiedineck13 hat sich gestern im Gespräch mit Hildebrand und mir eine Auffassung geleistet, die an Banausenthum nichts zu wünschen übrig ließ; der wahrhaften Größe, dem Genius, ja selbst einer starken Individualität steht dieser Historiker hilflos gegenüber. Dienstag hat er angekündigt, daß er jetzt gegen die Deutschnationalen in den preuß. Jahrbb. noch viel schärfer schreiben werde. Und warum das, weil er sich über das Grazer Tagblatt ärgert.

Es ist einmal bei ihm nicht anders; die aus der Familienüberlieferung stammenden artilleristischen Principien hat er zeitweilig verloren und nun fehlt ihm der Halt und die Selbständigkeit, daher plumpst er in ziemlich regelmäßigen Zwischenräumen, auch immer wieder in das Bimserthum zurück. Bimser14 = Artillerist aber zur Bezeichnung einer gewissen Lebensanschauung viel bezeichnender, wäre daher schon eben anzuwenden gewesen.

Mit Melas der Kinder und meinen herzlichsten Grüßen und Empfehlungen an Deine Mama wie immer

Dein
AB.


1 Erwin Graff de Pancsova (1878-1952), später Gynäkologe und Röntgenologe.

2 Ludwig Graff de Pancsova (1851-1924), Grazer Zoologieprofessor und zeitweiliger Rektor; vgl HSA 03911-03920; Eugénie Jenny von Graff geb. Lundenburg (1855-1943); vgl. HSA 03911-03920 bzw. 03910.

3 Gemeinde in Südtirol.

4 Höhlenstein (Landro) , Weiler im Gemeindegebiet von Toblach.

5 Als am 31. Oktober 1895 die Presse ihr Erscheinen einstellte, trat am 1. November die Reichswehr an ihre Stelle die Mitte Dezember 1904 ihrerseits ihr Erscheinen einstellte und im Fremdenblatt aufging.

6 Vermutlich Adolph Rudolph Rocholl (1843-1915), Rittmeister a. D. schied am 18.07.1864 aus dem Preußischen Untertanenverband aus, da ihm das Mindestmaß zur Offizierslaufbahn in der Heimat fehlte und trat in österreichische Militärdienste. Leutnant zunächst bei der Infanterie, nahm als solcher am Kriege 1866 gegen Preußen teil, später zur Kavallerie, 27.10.1880 Rittmeister zumeist in ungarischen Standorten, 1887 Abschied wegen der häufigen, in Österreich üblichen Versetzungen, ließ sich in Graz nieder.

7 Amalie geb. Smekal, Tochter des Obersten Emanuel Smekal ; Frau von Adolf Bauer; vgl. HSA 00678-00803.

8 Wilhelm *1888; Hildegard *1892; (Kurt) Robert *1897.

9 Victor von Ebner-Rofenstein (1842-1925), österr. Histologe, von 1873 bis 1888 Professor in Graz, danach Wien. (Wieso steht er den Bauers noch 1898 als Arzt zur Verfügung?)

10 Kurort im Gerichtsbezirk Bruck an der Mur (Steiermark).

11 Hildegard (Hilla) Bauer (1892-1968); vgl. HSA 00645-00675.

12 Willi (Wilhelm Bauer) (1888-1968); vgl. HSA 00823-00874.

13 Hans von Zwiedineck-Südenhorst (1845-1906), österr. Historiker, 1875 in Graz habilitiert; vgl. HSA 13163-13168.

14 „Bombenschmeißer“ (Austriazismus).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 00615)