Julius Zacher an Hugo Schuchardt (01-12927)

von Julius Zacher

an Hugo Schuchardt

Halle

18. 09. 1872

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Straßburg Romanische Philologie Englische Philologie Universität Marburg Rivista di Filologia Romanza Universität Königsberglanguage Sanskrit Stengel, Edmund Pott, August Friedrich Keil, Heinrich

Zitiervorschlag: Julius Zacher an Hugo Schuchardt (01-12927). Halle, 18. 09. 1872. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8101, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8101.


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Halle a. S. 18 Sptbr. 1872.
Rannischestr. 3. 2 Tr.

Hochgeehrter herr!1

Dass Boehmer nach Strassburg geht2 habe ich selbst erst vor wenigen tagen bei meiner rückkehr erfahren. Da ich wenig unter die leute komme, habe ich seitdem weder Boehmer selbst, noch einen collegen aus der phil. fac. ausser Bernhardy3 gesehen, weiss also noch nicht einmal wann er fortgeht. In der fakultät wird die angelegenheit doch schwerlich vor dem october zur verhandlung kommen. Dass widerbesetzung der stelle beantragt werden muss, ligt auf der hand, und der Romanisten die überhaupt in betracht gezogen werden könnten werden wol in summa nur wenige sein. Dass man Boehmer selbst befragen werde, würde wenigstens zum bisher eingehaltenen brauche passen. Wen er der facultät empfehlen werde, darüber weiss ich zur zeit noch gar nichts zu sagen; nur vermuten möchte ich dass er vielleicht wol auf Stengel,4 seinen ehemaligen zuhörer, einen geborenen Hallenser, hinweisen werde, der eben mit |2| Manzoni und Monaci aus Rom ein circular einer beabsichtigten „Rivista di filologia romanza5 ausgesandt hat, - Ausser Boehmer würden zunächst wol Pott6 und Ulrici7 ein wort in der sache reden, dann vielleicht die beiden klass. philologen Bernhardy8 und Keil,9 und neben diesen Gosche,10 vielleicht auch Haym11. Die übrigen würden sich wol mehr passiv verhalten; unter ihnen auch der zeitige decan, Knoblauch, ein physiker.12

Abrathen von einer bewerbung möchte ich Ihnen nicht eben, wenn ich Sie auch eines durchschlagenden erfolges nicht versichern kann, denn das ist bei besetzung von universitätsprofessuren fast so gut wie unmöglich. Haben Sie aber die absicht, sich zu bewerben, dann wäre es doch gut, wenn Sie ernstlich dazu thäten. Sie könnten zu diesem zwecke, von Lauterberg nach Gotha reisend, mit der Nordhäuser Bahn einen abstecher machen, um en passant den einen oder anderen Ihnen geeignet scheinenden in Halle zu besuchen. Ich meinerseits ziehe, wenn ich es haben kann, in dergleichen fällen den mündlichen u. persönlichen verkehr dem schriftlichen vor. Jedesfalls aber wäre es nicht vom übel, wenn Sie Ihre gedruckten opera, oder wenigstens das wichtigste davon, der facultät vorlegten. Sie können das so thun, dass Sie einem facultätsmitgliede |3| die betreffenden werke zum zweck der vorlage bei der facultätssitzung übergeben, oder Sie können auch in einem an den decan gerichteten schreiben Ihre bewerbung geradezu aussprechen u. diesem die opera beifügen. Im letzteren falle pflegt das schreiben neben den gedruckten beilagen bei den facultätsmitgliedern zu circulieren. Diesen letzteren weg hatte z. B. Überweg13 mit gutem erfolge gewählt, als er sich von Bonn aus um die philosophische professur in Königsberg bewarb. Können und wollen Sie ein empfehlungsschreiben von Ebert,14 oder einer anderen autorität des faches beifügen, so kann auch dies nüzlich werden. Sie müssen nur bedenken, dass die meisten mitglieder der facultät diesem fache fern stehen, dass eine autorität für die meisten leute eine sache von gewicht ist und auf ihre entschliessung einwirkt, dass eine auswärtige autorität möglicherweise mehr wirken kann als die äusserung eines collegen.

Ich selber habe von Ihren gedruckten arbeiten nur sehr beiläufige und sehr unvollkommene kentnis nehmen können, daher haben sie mir wol den ausdruck ausgedehnter und gründlicher gelehrsamkeit und forschung gemacht, aber ich vermag doch nicht genauer und nach vollem verdienste über sie zu berichten. Pott,15 in dessen forschungen Sie viel unmittelbarer und tiefer eingreifen, wird darüber viel besser bescheid wissen.

Die definitive verleihung einer professur hängt von so manchen umständen ab, dass es nicht weise sein würde, auf einen sicheren erfolg zu bauen. Da es aber schon seinen nicht |4| zu unterschätzenden wert hat, von einer facultät in vorschlag gebracht zu sein, würde ich in ähnlichem falle doch nicht anstehen den versuch zu machen.

Dies ist, was ich Ihnen jetzt zur sache zu sagen weiss, und ich habe ganz offen geredet, weil ich Ihnen damit am meisten zu nützen hoffe. Kann ich mich Ihnen weiter dienstwillig erweisen, so werden Sie mich gern dazu bereit finden.16

Mit dem wunsche besten gelingens, in vorzüglicher hochachtung

Ihr ganz ergebener

J. Zacher.


1 Dieser und die acht nachfolgenden Briefe betreffen Schuchardts Berufung nach Halle a. S. und ermöglichen interessante Einblicke in das damalige Berufungswesen. In welcher Eigenschaft Zacher zum Ansprechpartner Schuchardts wird, dessen Bewerbung er tatkräftig unterstützt, läßt sich nicht ermitteln: er war weder Dekan noch Prodekan!

2 Eduard Boehmer (1827-1906), deutscher Romanist; vgl. HSA 01187-01189. Er war ab 1872 der erste Romanist an der neubegründeten Universität zu Straßburg, ließ sich allerdings bereits 1879 vorzeitig pensionieren. In Halle war er 1866 zunächst a. o., ab 1868 o. Prof. für romanische Philologie.

3 Gottfried Bernhardy (1800-1875), seit 1829 o. Prof. der Klass. Philol. in Halle

4 Edmund Stengel (1845-1935), deutscher Romanist, seit 1873 Prof. für Romanistik und Anglistik in Marburg; vgl. HSA 11272.

5 Die Rivista di Filologia Romanza wurde 1872 begründet, und zwar von Luigi Manzoni, Ernesto Monaci und Edmund Stengel. Sie kam jedoch nur bis zur Nr. 2 (1875).

6 August Friedrich Pott (1802-1887), seit 1838 o. Prof. f. Allg. Sprachwissenschaft in Halle; vgl. HSA 08984.

7 Hermann Ulrici (1806-1884), seit 1861 Hallenser Ordinarius für Philosophie, Ästhetik und Literaturgeschichte.

8 Gottfried Bernhardy (1800-1875), Prof. für lat. und griech. Philologie und Literatur.

9 Heinrich Keil (1822-1894), seit 1869 Hallenser Ordinarius für Klass. Philologie und Rhetorik; vgl. HSA 05496.

10 Richard Gosche (1824-1889), seit 1862 in Halle Ordinarius für orientalische Sprachen.

11 Rudolf Haym (1821-1901), seit 1868 Prof. für deutsche Literatur in Halle.

12 (Carl) Hermann Knoblauch (1820-1895), Experimentalphysiker, seit 1853 o. Prof. in Halle. – Der in HSA erhaltene Brief 05683 (Halle, 3.12.1872) dürfte aus seiner Feder stammen; Wolff, Nachlaß, 39 weist ihn (wohl fälschlich) einem „Knoblauch, L., Verleger“ zu.

13 Friedrich Überweg (1826-1871), deutscher Philosophiehistoriker, seit 1862 zunächst a.o., ab 1868 o. Prof. in Königsberg; er ist der Begründer des monumentalen Grundriss der Philosophie, der nach seinem Tod von verschiedenen Verfassern überarbeitet und jeweils auf den neuesten Stand gebracht wurde.

14 Adolf Ebert (1820-1890), deutscher Romanist, einer der Leipziger Lehrer Schuchardts; vgl. bes. seine zögerliche Antwort HSA 02677 (26.9.1872): „Ich bin gern bereit Sie zu empfehlen. Aber ich kenne keinen der Hallenser Proff. persönlich näher, auch nicht einmal ferner, auch weiß ich nicht wer der Decan ist. Auch könnte ich das Schreiben möglicher Weise an einen richten, der für Stengel wäre. Der geeignetste Weg ist, daß einer der dortigen Proff. sich soweit für Sie interessirt, vertraulich bei mir über Sie anzufragen, u. daß ich darauf ihm antworte. Können Sie das nicht bewirken? Geht es durchaus nicht, so würde ich an Prof. Dümmler, obwohl ich ihn gar nicht näher kenne, schreiben, müßte dann aber sagen daß ich es auf Ihre Veranlassung thäte. Es würde sonst mein Verfahren in diesem Falle als Einmischung in die Angelegenheiten einer fremden Univers. erscheinen“.

15 August Friedrich Pott (1802-1887), seit 1838 o. Prof. für allgemeine Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie sowie historische Grammatik in Halle; er bot außerdem Spezialvorlesungen zum Sanskrit, dem Chinesischen und über Hieroglyphen an; vgl. HSA 08984.

16 Zacher war vermutlich Mitglied der romanistischen Berufungskommission; die Informationen, die er Schuchardt über das laufende Berufungsverfahren mitteilt, gehen über das in solchen Fällen übliche Mass hinaus und verschafften Schuchardt einen gewissen „Insider“-Vorteil!

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12927)