Hugo Schuchardt an Johannes Ulrich Hubschmied (21-10301)

von Hugo Schuchardt

an Johannes Ulrich Hubschmied

Graz

07. 02. 1923

language Deutsch

Schlagwörter: Wissen und Leben: neue Schweizer Rundschau Bovet, Ernest Jud, Jakob Steiner, Herbert Schuchardt, Hugo (1894)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Johannes Ulrich Hubschmied (21-10301). Graz, 07. 02. 1923. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8059, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8059.


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Graz, 7.2.‘23

Lieber Freund,

Durch Ihren gestern mit Dank empfangenen Brief1 veranlaßt, habe ich mich heute früh, sobald ich aufgestanden war, daran gemacht Ihren Wunsch wenigstens zum Teil zu erfüllen. Ich schicke Ihnen, als nicht eingeschriebene Drucksache, alle überschüssigen SA2 aus dem Ltbl (sofern mir wenigstens je zwei Exemplare übrig bleiben) – die wichtigsten sind freilich längst vergriffen, und lege noch bei die Festgabe für Leskien3 und einiges Baskologische. Hoffentlich komme ich später dazu Anderes zu senden (die Herauswutzelung der SA aus der ZromPh wird etwas mühselig sein) |2| ich bin sehr faul, nicht ϑέσει, sondern φύσει und die wagrechte Lage ist bei mir das Normale. Übrigens wiederhole ich die kürzlich an Jud (und an Sie) ausgesprochene Bitte nun auch persönlich an Sie, von der Portovergütung abzusehen. Die Dinge sind ja hier möglichst teuer; aber was fast noch mehr auf unser ganzes Leben drückt, das liegt in der hohen Bewertung der Arbeit, auch der geringsten. Manchmal kostet das Zurückbringen einer reparierten Sache mehr als die Reparatur selbst. Frau Nyrop in Kopenhagen legt ihren Briefen Austauschscheine bei (der amtliche Name ist mir nicht gegenwärtig) für die ich beim hiesigen Postamt das Porto für die Rückantwort erhalte: aber sie weiß nicht, daß der Weg zu |3| diesem Amt die Ersparnis mehrfach aufwiegt. Deshalb auch war ich bei Ihrem lieben Besuch so in Verlegenheit; ich konnte Sie nicht verpflegen und auch wiederum Ihnen das nicht auseinandersetzen – bei einer vorherigen Benachrichtigung wäre es vielleicht gegangen. Wie oft habe ich in der Vorkriegszeit mir das Mittagessen von jenseits der Mur holen lassen! Und „schließlich und endlich“, wie Herr Mairhuber sagt, die Schweizer Noten sind mir als Zeichen freundschaftlicher Sorge sehr willkommen, aber gegen unsere siebenstelligen Ziffern kommen sie nicht immer auf. Die Natur hat mir als Geburtstagsgeschenk einige „Milliönchen“ Minus gebracht – den Einbruch meiner Gartenmauer.

Mairhuber4 benimmt sich auch in diesem Falle ausgezeichnet. Er ist überhaupt ein genialer Mensch; |4| er weiß für alles Rat, greift immer sofort ein und erledigt Dinge in ein paar Minuten, wozu ein anderer Stunden gebrauchen würde. Es ist ein ganz besonderer Segen für mich daß ich nun Leute wie M.s – die übrigens Ihre Grüße dankend erwidern – am Abend meines Lebens getroffen habe. M. stürzt sich geradezu auf Probleme und darin ist er mir kongenial.

So, jetzt kommt der Augenblick der Ermüdung und ich kokettiere mit dem Diwan. Über meinen Winter habe ich schon Jud das Wesentliche mitgeteilt. Mein festes Streben geht zwar auf die Fertigstellung meines höchst bescheidenen Baskenbüchleins, aber beständig treten neue Hemmungen ein. Wenn ich nur einmal ein Vierteljahr völlige Schonzeit hätte! Aber ich mag die Nachrichten der Freunde nicht missen und kann selbst wenn es sich nicht um Beantwortung bestimmter Fragen handelt |5| nur schwer auf die Beobachtung der höflichen Sitte verzichten. Es gibt viele viel Jüngere die hierin weniger pedantisch denken; wie oft klagt mir, seit langer Zeit, bald dieser, bald jener daß man ihm nicht antworte.

Möge ich wenigstens von der Kriegspsychose verschont bleiben! Wenn wir Intellektuellen der verschiedenen Länder nur in den allgemeinen Grundsätzen uns verstehen könnten! Z. B. betreff des Selbstbestimmungsrrechtes! Ich verurteile daß man es 1871 gegenüber Elsaß-Lothringen, und schon 1862 bei Nordschleswig beiseite geschoben hat – soll ich nun das Benehmen der Italiener gegen das deutsche Südtyrol gerechtfertigt finden? Hat |6| Österreich je die Italiener germanisieren wollen? Ich wundere mich daß in „Wissen und Leben“, für dessen fortdauernde Zusendung ich Bovet5 sehr dankbar bin, neuerdings gerade die aktuellen Fragen nicht weiter ins Licht gerückt werden. Es gibt doch auch Dinge die einfach vom Standpunkt der Logik erledigt werden könnten: ob eine Partei in ihrer eigenen Angelegenheit auch Richter sein dürfe. Doch genug davon! Jud weiß davon zu erzählen. Grüßen Sie den Mann der Keilschrift6 von mir und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von

Ihrem
HSchuchardt

Grüßen Sie bitte auch H Steiner!


1 HSA 04881 (2.2.1923).

2 „Sonderabdrücke“.

3 Schuchardt, An August Leskien zum 4. Juli 1894, Graz: Styria, 1894.

4 Franz (1876-1960), Verwaltungsbediensteter, und seine Frau Karoline (1884-1977) Mayrhuber (nicht: Mairhuber) waren Mitbewohner von Schuchardt.

5 Ernest Bovet (1870-1941), Schweizer Romanist und Zeitschriftrenherausgeber; vgl. HSA 01289-01300.

6 Juds eckige Handschrift?

Faksimiles: UB Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative Commons BY-NC-SA https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ (Sig. 10301)