Gustav Meyer an Hugo Schuchardt (22-07180)

von Gustav Meyer

an Hugo Schuchardt

Oppeln

06. 09. 1887

language Deutsch

Schlagwörter: Steiermärkische Landesbibliothek Graz Göttingische Gelehrte Anzeigen Neue Freie Presse Oswald, Marie Picot, Émile Zwiedineck-Südenhorst, Hans von Werner, Richard Maria Benloew, Louis (1879) Meyer, Gustav (1887) Ziemer, Hermann (1884) Pischel, Richard (1884) Meyer, Gustav/Schreck, Emmy (1887) Krauss, Friedrich S. (1883–1884) Kremnitz, Mite (1882)

Zitiervorschlag: Gustav Meyer an Hugo Schuchardt (22-07180). Oppeln, 06. 09. 1887. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8052, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8052.


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Oppeln 6. Sept. 1887

Lieber Freund1

Ist denn Taubert2 verstorben oder mit meinem Gehalte nach Angra pequeña3 durchgebrannt, dass er mir bis jetzt noch nicht einen Soldo geschickt hat? Ich habe ihm gestern eine dringliche Karte geschrieben – vielleicht schickst du Marie noch hin um die Sache zu urgieren. Ferner scheine ich mich in der Zahlungsfähigkeit der Akademie während der Ferien auch verrechnet zu haben, es kommt nichts, und damit ich nicht in Geldverlegenheit komme, wäre es mir lieb, wenn ihr euch meiner bedrängten Lage erbarmtet. Leider habe ich mein Sparkassebuch der Marie nicht zurück gelassen: vielleicht kann sie mir aus ihren bekannten Vermögensbeständen 150 Gulden mit |2| Postanweisung hieher schicken, sie bekommt es im October gleich wieder, wenn du nicht etwa in der Lage bis mir das Geld bis dahin zur Verfügung zu stellen. Aber ich weiß nicht, was du noch für Reisepläne hast. Also sei so gut und rette mich.

Ferner: In der Schublade meines Nachtkastels liegt der vrai doux aniel, mein lieber Hühneraugenring aus Hirschleder, den ich leider vergessen habe und schmerzlich vermisse. Vielleicht könntest du mir auch dieses Instrument, säuberlich in Papier gewickelt, in einem Briefe her schicken.

Über das verrückte Luder, den Benloew4 werde ich seinerzeit herfallen; Picot5 hatte mir eine Besprechung in der Revue crit. versprochen. Es ist immerhin bedauerlich, daß die Franzosen über meine unvergänglichen Verdienste um das Albanesische so |3| mangelhaft unterrichtet werden. Daß mein Aufsatz schon in im Sept.heft von Cotta’s Zeitschrift gedruckt ist, ist ein neuer Beweis von der Unzuverlässigkeit österr. Freunde; Zwiedine[c]k6 hatte mir bestimmt zugesagt ihn erst im October zu bringen.7 Ich bin nun der Blamierte und nicht einmal das Bewußtsein mit R. M. Werner8 dort in Reih u. Glied zu erscheinen kann mich trösten. Indessen beruhigt mich etwas, daß der Aufsatz in dieser Zeitschrift ziemlich der Öffentlichkeit entzogen ist, und ich werde ihn etwas umgestaltet doch den Herren in Dessau9 servieren. Denn etwas ganz Neues zu machen habe ich hier weder Lust noch Mittel. Herr Ziemer in Colberg hat mir einen gerührten Brief über meine Recension seines „Indog. Compar.“10 geschrieben, sie mag ihm freilich nach der Zerstampfung meines Freundes Pischel11 (in den Gött. Gel. Anz.) wol getan haben.

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Ich bleibe bis Ende nächster Woche hier, meinem Magen geht es recht gut, und ich gehe alle Tage auf der romantischen Landstraße nach Malapane12 3½ bis 4 Kilometer, die ich an den Chausseesteinen abzähle, spazieren. Ich war einen Tag in Breslau, habe aber von den besuchten Collegen niemand getroffen; Schliemann scheint, nach den Schaufenstern zu schließen, jetzt dort Nationalheiliger zu sein.13 Die Neue Fr. Presse, die ich mir schicken lasse, hält mich über die Entwicklung der feuilletonistischen Laufbahn Haberlandt’s im klaren.14 Unsere Manteuffelei scheint allerdings nicht auf die Nachwelt kommen zu sollen.15 Schade! Der Geldbriefträger in Graz scheint mir auch verschiedenes vorzuenthalten, er soll nur ja alles her schicken, denn ich brauche viel Geld. In Leipzig werde ich mit Kullmanns Schwägerin die Herausgabe der „finnischen Märchen“16 endgiltig feststellen; sieh dir doch mal die Krauß’schen Südslav.17 und Kremnitz Rumän. Märchen18 an u. schreibe mir, ob dir diese Friedrich’sche19 Ausstattung gefällt und unserer würdig erscheint.

Mit herzlichem Gruße

Dein

GM.


1 Schuchardt hielt sich zu diesem Zeitpunkt noch in Sare (Département Pyrénées-Atlantiques) zum Studium des Baskischen auf.

2 Universitätsdiener in Graz.

3 Meeresbucht im Südatlantik nahe der Seehafenstadt Lüderitz im damaligen Deutsch-Südwestafrika.

4 Louis Benloew, franz. Albanologe, Vf. von Analyse de la langue albanaise: étude de grammaire comparée, Paris: Maisonneuve, 1879.

5 Émile Picot (1844-1918), franz. Literaturhistoriker.

6 Hans von Zwiedineck-Südenhorst (1846-1906), österr. Historiker, seit 1880 Direktor der Steiermärkischen Landesbibliothek. Er gab die Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte bei Cotta heraus, von der 1884-87 vier Jahrgänge erschienen. In Bd. IV, 1887 ist Meyer vertreten.

7 Meyer, „Die Albanesen. I u. II.“, Österr.-ung. Revue, Juli 1886 u. Oktober 1887.

8 Richard Maria Werner (1854-1913), Germanist in Graz, seit 1886 o. Prof. in Lemberg.

9 Nicht ermittelt.

10 Hermann Ziemer, Vergleichende Syntax der indogermanischen Comparation, insbesondere der Comparationscasus der indogermanischen Sprachen und sein Ersatz, Berlin 1884.

11 Richard Pischel (1849-1908), Vgl. Sprachwissenschaftler und Indologe in Halle; Rez. in GgA 1884, 501-520.

12 Ort in Oberschlesien an der Oppelner Landstraße; heute Ozimek.

13 Heinrich Schliemann und Wilhelm Dörpfeld hatten 1886 die Ausgrabungen in Tiryns abgeschlossen.

14 Gottlieb Haberlandt (1854-1945), österr. Botaniker, oder sein Bruder Michael (1860-1940), Ethnologe.

15 Nicht geklärt.

16 Emmy Schreck / Gustav Meyer, Finnische Märchen, Weimar: Böhlau, 1887.

17 Friedrich S. Krauss, Sagen und Märchen der Südslaven in ihrem Verhältnis zu den Sagen und Märchen der übrigen indogermanischen Völkergruppen, Leipzig: Friedrich, 1883-1884.

18 Mite Kremnitz, Rumänische Märchen, Leipzig: Friedrich, 1882.

19 Wilhelm Friedrich (1851-1925), Verleger in Leipzig. Nach erfolgversprechenden Anfängen musste Friedrich seinen literarischen Verlag 1895 verkaufen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07180)