Gustav Meyer an Hugo Schuchardt (14-07173)

von Gustav Meyer

an Hugo Schuchardt

Graz

16. 07. 1880

language Deutsch

Schlagwörter: Breitkopf und Härtel Meyer, Gustav (1880)

Zitiervorschlag: Gustav Meyer an Hugo Schuchardt (14-07173). Graz, 16. 07. 1880. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8044, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8044.


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Graz 16.7.80

Lieber Freund1

Die Milde, welche neben der Fähigkeit zur Ertragung körperlicher Leiden ein Hauptferment in dem Charakter der christlichen Märtyrer bildete, möge in Ihr durch das versöhnende Künstlertum Geigers und die melancholische Schwermut der Bojaren aufgelockertes Herz ihren Einzug halten. Meine Abwesenheit von zu Hause, als Sie zum Bahnhof fuhren, erklärt sich daraus, daß ich zugleich mit der Absendung des Billet-doux an Sie auf die Post gegangen war und daher Ihre telegraphische Antwort noch nicht hatte. Wie wäre somit alles so ganz anders gekommen! Sie grossmütiger Mann! Thränen der Rührung stehen mir noch jetzt im Auge, wenn ich daran denke, welches edles Vertrauen |2| Sie in die Honorarzahlung von Breitkopf u. Härtel2 setzen! Aber es sollte nicht sein! Es blieb mir nichts übrig, als Sie mit innigen Segenswünschen von Station zu Station zu begleiten. Dann vollzog sich eine Umwälzung in meinem Innern. Diesen Mann, sagte ich mir, diesen Mann, der an Uneigennützigkeit und Grossherzigkeit jenen berühmten Gläubiger des Pumpus von Perusia3 weit übertrifft, den doch die etruskischen Ammen ihren Säuglingen als Muster christlicher Nächstenliebe zu rühmen pflegten, diesen Mann lässt du allein unter die kalten Menschen ziehen, du setztest ihn der Gefahr aus allein dem Geiger eine Flasche Sekt zahlen und allein die Dramatisierung von Wein contra Witwen anhören zu müssen?! Nimmermehr rief es in mir, und abermals Nimmermehr! Schamais! und da tat wer Geld in meinen Beutel und telegraphierte an |3| Sie. Aber – der Mensch denkt, der Schnetz4 lenkt. Der Morgen brach an, ein trüber, unerfreulicher Morgen. Schwarze Regenwolken hingen wie schmuzige Wäsche tief auf die Häupter der Berge danieder, eine kalte Tramontana fegte den Staub und die Kleider der vorbeiwandelnden Damen in die Höhe und fester knöpften die pensionierten Excellenzen ihre Winterröcke über der Heldenbrust zu. Da sank mir der Schnetz! Abwartend stand ich am Fenster und sah die grauen Wolken gespenstisch vorübertreiben – und er sank immer tiefer! Und als gar Regentropfen an mein Fenster schlugen, da war es ganz um ihn geschehn und ich sang mit dem Dichter: Mein Hoffen schwand und ersteht nicht!5

und Sie wissen

deficiente schnef – deficit omne –z.6

Was für Qualen eines gefolterten Gewissens ich in den nächsten Tagen ausgestanden |4| habe, o forschen Sie nicht danach – keine Menschenseele wird es jemals erfaren. Wie Keulenschläge trafen mich heut die Anklagen Ihres Briefes. Ja, Sie haben recht, ich habe undankbar, treulos, schändlich, verworfen gehandelt; die Sonne geht auf im Osten, die Sonne geht unter im Westen, ich werde es mir nicht vergeben. Daß Sie es aber tun, dafür dürfte mir Ihr treffliches Herz, das Sie sich hoffentlich mitten unter den entnervenden Vergnügungen der Grosstadt rein und edel zu erhalten gewusst haben. Und somit sei Ihr Ausgang gesegnet wie es Ihr Eingang war. Kommen Sie bald zurück um aus dem Staube aufzurichten

Ihren

tief gebeugten

GM.


1 Scherzhafter Brief, dessen zahlreiche Anspielungen nicht (mehr) geklärt werden konnten.

2 Bekannter Verlag in Leipzig; Meyer hatte dort seine Griechische Grammatik (1880) verlegt.

3 Einen solchen Heiligen gibt es nicht; Scherzbildung für einen Heiligen, den diejenigen, die „Geld pumpen“, anrufen?

4 Eigenname? Nicht identifiziert.

5 Aus dem Couplet „Laß Schwinden die Tage der Wonne“.

6 Gewöhnlich „deficiente pecu(nia), deficit omne“ (Rabelais, Gargantua et Pantagruel III, 41): „fehlt es an Geld, fehlt alles“. Die interpretatio nominis bleibt dunkel.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07173)