Gustav Meyer an Hugo Schuchardt (05-07166)

von Gustav Meyer

an Hugo Schuchardt

Graz

08. 05. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Prag Schönbach, Anton Tomaschek, Karl Scherer, Wilhelm Schmidt, Erich Delius, Nikolaus Krones von Marchland, Franz Xaver Cornu, Julius Wolf, Michaela (1993) Krones, Franz (1879)

Zitiervorschlag: Gustav Meyer an Hugo Schuchardt (05-07166). Graz, 08. 05. 1879. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8035, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8035.


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Graz 8/5 79

Lieber Herr von Schuchardt

Ihren Brief aus Sevilla habe ich kurz nach meiner Rückkehr von meiner Abwesenheit erhalten und mich gebührlich darüber gefreut. Nehmen Sie meine besten Glückwünsche zu dem Stern von Rumänien1 u. vivat sequens, Sie werden doch noch einige spanische und portugiesische mitbringen. Werden Sie nur im Glück nicht übermütig! Ihre Mitteilungen über das andalusische Aprilwetter haben mich einigermaßen getröstet über das Hundewetter, das mich auf meiner ganzen Reise verfolgt hat. Trotzdem war Makarts Festtag in Wien pompös und einzig!2 Hier habe ich ganz die alte Scheusslichkeit und Langeweile wiedergefunden, |2| die dieses gottverlassene Nest auch zu andern Zeiten auszeichnet. So ein paar andalusische Frauenbilder könnten hier nicht schaden. Es wäre nett, wenn Sie einmal aus der Rolle des objektiven Beobachters heraus fielen und einige individuelle Erlebnisse mit diesen Perlen der Schöpfung zum besten gäben. Ein Feuilleton von Ihnen ist noch nicht erschienen – meines ist längst gedruckt, schon im März, und das Geld dafür verjubelt, ich habe Ihnen von diesem bedeutenden Opus seinerzeit ein Exemplar zugesendet, das bei den primitiven Zuständen der spanischen Post aber nicht in Ihre Hände gelangt zu sein scheint. Was sehr schade ist.

Herr von Glücksmann hat Graz glücklich verlassen, ich habe ihn noch flüchtig nach meiner Rückkehr gesehen. Mir gegenüber war er bis zum Schlusse ungebrochen und meinte, wenn ihm die politischen Verhältnisse des neu geeinigten Deutschland nicht passten, so würde er im Herbst sich hier als selbständiger |3| Buchhändler etablieren. Elender Heuchler? Rittler gegenüber hat er Farbe bekannt und gestanden, daß er sowol hier als in Breslau mit unerschwinglichen Schulden fest hienge. Bei Ries allein ist er 200 Gulden schuldig geblieben. Ausserdem haben wir neulich hier einen Herrn aus Breslau gesprochen, der seinen Vater kennt, welcher einfacher Beamten bei der Oschles. Eisenbahn ist und einen Gehalt von 1200 M. bezieht, wovon er schwerlich den sumptuosen Lebenswandel des kleinen Herzogs bezahlen kann. Item – Die Affaire Willinger hat kein weiteres Nachspiel gehabt.

Daß Schoenbach3 zum Herbst nach Wien an Tomascheks4 Stelle geht, habe ich Ihnen glaube ich schon geschrieben. Die Berufung ist gegen Scherers Willen vom Ministerium gemacht worden und Schoenbach scheint in Folge dessen mit der Clique etwas zerfallen zu sein. Man wollte durchaus Erich Schmidt5 haben, auch die Wiener Commission, und man wird in Wien Schönb. grade nicht mit offenen Armen entgegen kommen. Wenn ich Ihnen außer- y|4| dem mittheile, daß der alte Delius in Bonn6 pensioniert ist, daß Krones7 für seine oesterr. Geschichte die eiserne Krone bekommen hat8 und daß die arme Frau Riehl9 endlich gestorben ist, so dürften meine Neuigkeiten voll erschöpft sein.

Frau Veruner habe ich von Ihren düstern Rachegedanken Mitteilung gemacht, da ich in Prag wieder 8 Tage dort gewohnt habe. Sie meinte, Sie seien náoriedj10 und bildeten sich Dinge ein, die gar nicht existierten; sie hat versucht mir eine Aufklärung über Ihre Incriminationen zu geben, die sehr lang war und die mir nur zum Teil im Gedächtnis geblieben ist. Bis Sie zurück kommen, werde ichs wol ganz vergessen haben. Machen Sie ein paar spanische Sonetts auf sie und damit wird der Conflict endgiltig beigelegt werden. Cornu11 habe ich leider über seine portugiesischen Erlebnisse nicht ausholen können, da er in Paris war; er soll in Lissabon wie ein Straßenkehrer gelebt haben. Ihn werden die portug. Frauen nicht viel Zeit gekostet haben. Mit dem Wunsche, daß sie Ihnen nicht irgendeinen eifersüchtigen Degenstoss beibringen

Ihr freundschaftlichst ergebener
GMeyer.


1 Das entsprechende Diplom datiert vom 21.3.1879; vgl. Wolf, Nachlaß, 614 (Diplom; Ansuchen um Annahme des Ordens; Annahme des Ansuchens durch Statthalter; Beilage der Allgemeinen Zeitung).

2 Der Maler Hans Makart gestaltete den am Sonntag, den 27. April 1879 in Wien stattfindenden Festzug zur fünfundzwanzigsten Vermählungsfeier des Allerhöchsten Kaiserpaares und war Teil der Feierlichkeiten aus Anlass der Silberhochzeit von Kaiser Franz Joseph I. und seiner Gemahlin Elisabeth.

3 Anton Schönbach (1848-1911), österr. Germanist in Graz, wo er von 1873 bis 1911 ununterbrochen tätig war.

4 Karl Tomaschek (1828-1878), österr. Germanist in Graz und Wien.

5 Erich Schmidt (1853-1913), Schüler Scherers, von 1877-80 sein Nachfolger in Straßburg, ab 1880 Tomascheks Nachfolger in Wien.

6 Nikolaus Delius (1813-1888), Anglist und Shakespeare-Forscher in Bonn

7 Franz Ritter von Krones (1835-1902), österr. Historiker; vgl. HSA 05836-05840. Er ist Vf. zahlreicher Standardwerke, u.a. Geschichte der Neuzeit Oesterreichs vom achtzehnten Jahrhundert bis auf die Gegenwart, Berlin: Hofmann, 1879.

8 In drei Stufen verliehene Verdienstauszeichnung.

9 Der Philosoph Alois Riehl (1844-1929), seit 1878 Grazer Ordinarius, war in erster Ehe mit Paula geb. Polster, Tochter eines Lederfabrikanten aus Klagenfurt, verheiratet, die 1879 verstarb.

10 Tschechisches Wort, nicht identifiziert, i. S. von russ. наорáтЬ „schimpfen, laut schreien“?

11 Jules / Julius Cornu (1849-1919), schweiz.-österr. Romanist, zu diesem Zeitpunkt Prof. in Prag.

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