Adolf Harpf an Hugo Schuchardt (01-04365)

von Adolf Harpf

an Hugo Schuchardt

Leoben

10. 01. 1898

language Deutsch

Schlagwörter: Taaffe, Eduard Schuchardt, Hugo (1898) Korotin, Ilse (2016)

Zitiervorschlag: Adolf Harpf an Hugo Schuchardt (01-04365). Leoben, 10. 01. 1898. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7942, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7942.


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Dr. Adolf Harpf Herausgeber der Obersteirischen Volkszeitung
Buch- und Kunstdruckerei Verlag des Obersteirischen Schreib-Kalenders Behördl. conc. Ankündigungs-Anstalt
Postsparkasse-Check- Leoben, den 10. Januar 1898.
Conto Nr. 818.766. (Josefé, Südbahnhofstr. 158)

Hochgeehrter Herr Professor!

Zurückgekehrt aus Ägypten, wo ich nun schon den zweiten Winter in Folge von Krankheit zubringen mußte, finde ich Ihren Brief: „Tschechen und Deutsche“ vor1, den ich in einem Zuge gelesen habe. Ich fühle mich gedrängt, Ihnen für diese Gabe ganz besonders zu danken.

Aus längeren Gesprächen, die ich bei Besuchen, wenn Sie sich unwohl fühlten, mit Ihnen als Ihr Schüler führte und wo wir auch das Gebiet der Politik mehrfach streiften, darin ich vor 20 Jahren schon und vielleicht eifriger arbeitete, als ich gesollt hätte, – glaubte ich damals entnommen zu haben, daß Sie in der Aera Taaffe2 der slavischen Frage gegenüber ausschließlich auf dem reinen „Versöhnungsstandpunkt“ standen. Sie selbst streifen diese Phase Ihrer Anschauungen wie ich glaube auf S. 32.

Ich dachte mir damals, verzeihen Sie meine Offenheit, – der Mann ist jetzt eben k. k. österreichischer |2| Professor, will vielleicht in Österreich noch Carrière machen und die Reichsdeutschen denken ja selbst im Reiche draußen über österreichische Dinge bekanntlich meistens österreichischer als wir deutsche Österreicher selbst. Daß ich mich bei Ihnen, meinem hochverehrten Lehrer, hierin total geirrt habe, zeigt mir Ihre letzte so offenherzige und wohlthuend wahrhaftige Schrift, die mir in die Erinnerung an Sie, einen Zug einfügt, der mir bisher schmerzlich abgegangen war. Nach dem, was wir gesprochen, hätte ich mir nicht gedacht, daß Sie von den Thatsachen der verflossenen Jahre so überzeugt würden, und daß Sie dieser Überzeugung einen derartigen Ausdruck zu geben sich entschließen könnten.

Überdies ist Ihre Schrift für das politische Frankreich, welches ich ja ebenfalls aus eigener Anschauung kenne, eine wahrhaftige Offenbarung, – schade nur, daß dieselbe dort, in Frankreich, nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge wenig Aussicht hat, auch wirklich beherzigt zu werden. Der Wahrheit thut dies allerdings keinen Eintrag, – aber wo giebt es ein |3| Streben nach Wahrheit überhaupt in dem politischen Leben u. Treiben, welches alle Lebensäußerungen unserer europäischen Völker heute beherrscht u. sich überall und innerhalb der Parteischablonen zu bewegen vermag.

Da Ihr Brief, wie ich zu entnehmen glaube, an einen politischen Praktiker oder für solche Leute geschrieben ist, so verzeihen Sie wohl, wenn ich gerade in dieser Richtung noch einige Bemerkungen mache, die ich gerade vom Standpunkte meiner Lebenserfahrungen auf diesem Gebiete für angebracht erachte.

Dem Professor in Ihnen scheinen Unterscheidungen wie Sie solche zwischen Volk Nation u. Nationalität machen, gewiß mit Recht besonders wichtig, dem politischen Praktiker ist und bleibt das leere Theorie, gerade so gut wie heute in Österreichs politischer Praxis die Begriffe: Föderalismus u. Autonomie sich deckende Begriffe sind. – Was dieselben jedoch, wie Sie ganz richtig unterscheiden, |4| in Zukunft für einander sein mögen, das kann den politischen Praktiker gewiß ganz kalt lassen. So fein u. richtig Ihre Begriffstrennung auch hier ist, für heute erscheint auch sie mir nichts – als blasse Theorie.

Gewiß sind Ihre Unterscheidungen sehr interessant und fein u. bitte ich meine Bemerkungen nicht dahin aufzufassen, als sollten es Einwendungen gegen das Wesen dieser Unterscheidungen sein. Zum Schlusse bitte ich die Form dieses Briefes zu entschuldigen, welche besser ausgefallen wäre, wenn ich nicht wegen Kränklichkeit gezwungen wäre, meiner jugendlichen Tochter3 zu dictiren, die eben nicht besser schreiben kann, als Figura zeigt.

Ich danke Ihnen nochmals für Ihre werthvolle Gabe u. zeichne

Hochachtungsvoll

Ihr ergebener Schüler

Dr. Harpf


1 Schuchardt, Tchèques et Allemands. Lettre de M. Hugo Schuchardt, Correspondant étranger de l’Institut de France à M. ***, Paris: Welter, 1898.

2 Eduard Taaffe (1833-1895), österr. Politiker, vom 12.8.1879-11.11.1893 Ministerpräsident von Cisleithanien und Mitglied des Reichsrats.

3 Hilde Harpf (1882-1938), [Ps. Hilde Hagen, La Harpe-Hagen, Heinrich Spiller] verh. Spur, Schriftstellerin, Journalistin und Sängerin, vom Vater unterrichtet; vgl. Ilse Korotin (Hrsg.), biografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Wien: Böhlau, 2016, Bd. 1, 1196.

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