Paul von Ebart an Hugo Schuchardt (05-02660)

von Paul von Ebart

an Hugo Schuchardt

Gotha

13. 09. 1900

language Deutsch

Schlagwörter: Schwerdt, - Wolf, Michaela (1993) Ebart, Paul J von (1899)

Zitiervorschlag: Paul von Ebart an Hugo Schuchardt (05-02660). Gotha, 13. 09. 1900. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7926, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7926.


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Gotha, 13.9.00

Lieber alter Freund!

Endlich! Ich nahm an Sie seien irgendwo in Taku1, oder sonst wo gelandet um Studien zu machen. Ihr Schweigen konnte ich mir sonst nicht erklären. Nun kam heute Ihr lieber Brief und ich danke Ihnen von Herzen für die interessanten Zeilen. Da es eine üble oder gute Gewohnheit ist Briefe sofort zu beantworten, (dieselbe stammt noch aus meiner Dienstzeit beim höchstseligen Herzog Ernst her) so will ich Ihnen umgehend auf |2| Ihre Zeilen antworten.

Also Sie wollen etwas vom Duc wissen. Herzog Alfred2 litt seit Jahren an Erscheinungen die die deutschen Aerzte für Siphylis erkannten; wie alle Engländer hatte er eine Antipathie gegen die deutschen Aerzte, und von Zeit zu Zeit tauchte hier ein englischer Arzt, namens Paukert auf, der mit dem armen Herrn alles mögliche vornahm. Schon vor 3 Jahren als er nach Heluan3 ging sagte er beim Abschied zur Herzogin Alexandrine4, „Du glaubst nicht wie unsäglich ich leide“. |3|Schwerdt5 hat mir vor vier Jahren gesagt „der duc ist ein schwerkranker unglücklicher Mann“. Und nun schreit alles ceter. Ich kannte den duc seit 1878, wo er [ein] frischer, interessanter Mann war, als er 93 zur Regierung kam, fand ich i[h]n so verändert, daß ich damals annehmen mußte, er habe einen Schlaganfall gehabt. Seine geistigen Fähigkeiten waren erlahmt, indolent war er geworden, stumpf brütete er hin. Für mich kam der Tod nicht überraschend. Diese Catastrophe erinnerte mich lebhaft an die Zeit vor 1825 unter Herzog Friedrich6|4| Ich lege eine kleine Arbeit bei die allerdings wimmelt von Druckfehlern, ich bin unschuldig daran, die Sie interessieren wird.7 – Alfred ruht aus bei seinen Vätern und wir werden verwest durch den Erbprinzen Hohenlohe8. Wie Alles jetzt so spurlos an einem vorüber geht ist fabelhaft. Der Tod des Herzogs hat hier gar keinen Eindruck hinterlassen, Alles geht seinen gewohnten Gang. Da der Verweser mit der Herzogin Marie zusammen ist, so glaube ich kaum, daß für mich etwas Gutes |5| Ersprießliches bei dem Wechsel herauskommt. Ich spinne den stillen Faden meines Lebens fort und suche allmählig meine kleinen Bemühungen ans Licht zu bringen – womit es mir gelingen möge, meine pecuniären traurigen Verhältnisse zu verbessern. Im Stillen dachte ich daran mich nach China zu melden9, aber ich habe, da die Sache so gar nicht nach Patriotismus riecht, keine Lust für irgend eine Laune mein Leben zu lassen. So wie wir denken, glaube ich alle |6| vernünftigen Menschen. Die eigentliche Geschichte geht ja nun erst los. Gebe der Himmel, daß für unser armes Land nichts Schlimmes dabei zu Tage gefördert wird.

Sie haben doch in Graz als „eine öffentliche Person“, wie die alte Staatsdame von Wangenheim10 von mir zu sagen pflegte einen Einfluß; könnten Sie nicht veranlassen, daß mein neues Schauspiel, was demnächst in Coburg zur Erstaufführung gelangt in Graz über die Bretter gehen kann. |7| Es ist ein Stoff aus der Jugendzeit Napoleons und schildert Napoleon liebesglühend für eine junge Royalistin Edmée de Chateauneuf. Es ist ein genre von Madame sans gêne. Viel Gutes hat man mir beim Vorlesen darüber gesagt11. Es ist historisch und einzelne Scenen recht interessant. – Thuen Sie was!

Im Archiv im Nachlaß des Herzogs Friedrich IV habe ich 16 Briefe der alten Sophie la Roche gefunden12, ich habe sie übersetzt und erläutert, aber an wen soll ich die Arbeit schicken. Hier in Gotha wird man so unmodern und fremd |8| steht man Allem gegenüber. Nun ich habe genug Ihnen vorgeklagt, aber wirklich es geht mir dürftig, trotz Fleiß und Arbeit. Leben Sie wohl alter – lieber Freund; für heute will ich Ihnen nur noch fröhliche Fahrt nach dem schönen Süden und jede Freude, jede Erquickung, die der dortige Aufenthalt gewähren kann, in Fülle wünschen und verbleibe mit freundschaftlichem Gruß

Ihr alter
vEbart.


1 Orte in Japan bzw. Polynesien. In Wirklichkeit kurte Schuchardt in Herkulesbad.

2 Herzog Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha (1844-1900), zweitgeborener Sohn der Königin Victoria von England, seit 1893 Regent des Herzogtums.

3 Stadt am Nil.

4 Alexandrine von Sachsen-Coburg und Gotha (1820-1904), seit 1842 mit dem Coburger Prinzen Ernst von Sachsen-Coburg und Gotha, den späteren Herzog Ernst II., verheiratet.

5 Wolf, Nachlaß, 71, gibt einen 1856 geb. Mediziner dieses Namens an, der nicht identifiziert werden konnte.

6 Friedrich IV. (1774-1825), letzter Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg

7 Ebart, „Carl Maria von Webers Aufenthalt in Gotha in den Jahren 1812 und 1814“, Teil I-III, Blätter für Haus- und Kirchenmusik, Langensalza 1899.

8 Ernst II. Wilhelm Friedrich Karl Maximilian, Fürst zu Hohenlohe-Langenburg (1863-1950), bis zur Volljährigkeit des Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha von 1900 bis 1905 Regent von Sachsen-Coburg und Gotha.

9 Vermutlich denkt er an ein militärisches Engagement bei der Niederschlagung des sog. Boxeraufstandes.

10 Der Stammsitz Wangenheim lag im Nessetal im Landkreis Gotha.

11 Das Stück trägt den Titel Edmée. Schauspiel in 5 Aufz.; mit freier Benutzung e. Malling'schen Romans, Gotha: Selbstverlag, [1900].

12 NL Hermann Grimm, Hessisches Staatsarchiv Marburg, 340 Grimm Nr. Br 6025-6040 (16 Briefe von Sophie Laroche an Friedrich Prinz von Sachsen).

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