Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (141-01177)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

18. 02. 1897

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Politik- und Zeitgeschichte Leipziger Illustrierte Zeitung Rizal, José Serrano y Laktaw, Pedro Reyes, Isabelo de los Fernando Póo Sichrovsky, Harry (1983)

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (141-01177). Leitmeritz, 18. 02. 1897. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.778, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.778.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


|1|

Prof. F. Blumentritt
in
Leitmeritz (Böhmen),
18. Feber 1897.

Mein hochverehrter Freund!

Allerdings ist es unser Rizal, den die Spanier am 30. Dec. zu Manila erschossen haben.1 Im August erhielt er die Erlaubnis nach Cuba als Militärarzt zu gehn. Als er von seinem Verbannungsorte Dapitan in Manila eintraf, war gerade der Postdampfer abgefahren. Er getraute sich nicht ans Land zu gehn, weil, wenn die geringste Prügelei stattgefunden hätte, man sie zur Revolution aufgebauscht u. ihn als Anstifter hingestellt hätte. Er erhielt die erbetene Erlaubnis, während der Frist bis zum Abgang des nächsten Dampfers erbat er sich die Erlaubnis incomunicado an Bord eines Kriegsdampfers zu bleiben, was ihm auch gewährt wurde. Während dieser Zeit wurde die Verschwörung entdeckt und gleich darauf brach auch die Revolution aus. Sogleich wurde von den Mönchen Rizal als der Anstifter denunziert u. ihm auch der Prozess gemacht, wobei seine Unschuld herauskam. General Blanco gab ihm Empfehlungsschreiben an den Kriegs- und Colonialminister mit u. Rizal schiffte sich nach Europa ein. Während der Fahrt erfuhr R. in Singapore u. Suez von der großen Ausbreitung der Insurrection, aber im Gefühl seiner Unschuld kehrte er von seiner Promenade in Suez an Bord des Dampfers zurück. Während der 30 tägigen Fahrt hetzten alle reactionären Blätter gegen Rizal und forderten seinen Kopf. Als Rizal in Barcelona landete, wurde er über Requisition des Standgerichtes von Manila verhaftet und wieder nach Manila zurückgebracht. Hier machte man ihm neuerlich den Process, aber weder der Auditor-Ankläger noch das Tribunal waren in der Lage dem Wunsche der Frailes nach seinem Tode nachzukommen, man verbannte ihn nach Fernando Póo. Ehe er dahin abgehen konnte, hatten die Mönche erreicht, dass der milde Blanco durch den Alba, General Polavieja ersetzt wurde. Dieser brachte Rizal neuerlich vor das Kriegsgericht, das ihn trotz den Beteuerungen seiner Unschuld zum Tode verurtheilte? Tags darauf wurde er erschossen. |2| Vor seinem Tode schrieb der Arme mir folgenden Brief, den ich Ihnen wörtlich copiere:

“Herrn Prof. Ferdin. Blumentritt.

Mein Lieber: Wenn Du diesen Brief erhalten hast, bin ich schon todt. Morgen um 7 Uhr werde ich erschossen werden; bin ich aber unschuldig des Verbrechens der Rebellion.

Ich sterbe gewissensruhig.

Lebe wohl, mein bester, liebster Freund, und denke nie übel von mir.

Festung des Santiago, den 29sten Decem. 1896.

José Rizal.

Grüsse der ganzen Familie, der Frau Rosa, Loleng2, Curt3 und Friedrich.

Ich lasse Dir ein Buch zum Andenken.”

-----

Das Buch ist mir nicht zugestellt worden. Vor seinem Tode ließ er sich mit einer Canadierin trauen4, deren Vater er in Hong-kong operiert hatte und die nach Manila gekommen war, um in seiner Nähe zu sein. Die Spanier verweigerten der Witwe die Herausgabe des Leichnames, den sie heimlich vergruben. Die Witwe legte nun die europäische Tracht ab, zog sich als Tagalin in das Lager der Insurgenten von Cavite und haranguirt sie die Rebellentruppen.

Der Justizmord Rizal wird, wenn nicht heute, so doch später den Spaniern theuer zu stehen kommen. Auf den Philippinen werden alle gebildeten Malayen und Mestizen auf Antrieb der Mönche verhaftet u. meist füsiliert. Uber das Schicksal Pedro Serrano’s und Isabelo de los Reyes ist mir noch nichts bekannt, hoffentlich kommen sie mit einer Deportación ab, obwohl die frailes auch deren Tod verlangen.5 Es sind die reinen Proseriptionen Sullas6, die die christlichen Mönche inscenieren, sie wollen die |3| ganze intelligente u. reiche Kaste unter den Farbigen ausrotten. Vorläufig werden die Creolen verschont. Man spart eben die Hekatombe für später auf.

Ich werde Ihnen später einige Ausschnitte aus spanischen Zeitungen über Rizals letzte Momente und seinen Process senden, jetzt sind sie mir nicht gut entbehrlich.

Ich staune, dass Ihnen Rizals Schicksal unbekannt geblieben ist, denn von seinem Process und seinem Tode fanden sich Depeschen in allen Blättern vor und die Leipz. Illustr. Ztg. brachte sogar sein Porträt.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

getreuer

F. Blumentritt


1 1892 war Rizal nach Manila zurückgekehrt, wo er am 6. Juli 1892 festgenommen und nach Mindanao verbannt wurde. In den vier Jahren der Verbannung blieb Blumentritt mit Rizal soweit möglich in Kontakt und unterstützte den Freund moralisch. Außerdem versuchte er nach allen Kräften, Rizals Freilassung zu erwirken. Er beantragte eine Genehmigung, Rizal als Arzt nach Kuba ausreisen zu lassen, der im Juli 1896 schließlich stattgegeben wurde. Bevor Rizal nach Kuba reisen konnte, begann jedoch die Revolution und Rizal wurde erneut verhaftet, schließlich der Anstiftung zur Rebellion angeklagt und zum Tode verurteilt. Am 30. Dezember wurde er in Manila hingerichtet. Für Blumentritt, als enger Freund und Mitstreiter Rizals, war dessen Tod ein einschneidendes Ereignis, das er nie ganz verkraftete („Können Sie sich vorstellen, welche Verzweiflung sich unserer Familie bemächtigte, als sie die Nachricht vom Tode Rizals erhielt?“ Zitat einer Enkelin Blumentritts in Sichrovsky 1983: 25). Und es führte zu Blumentritts Entschluss, weiter für die Philippinen zu kämpfen, um Rizals Werk fortzusetzen. Zur Verbannung und Hinrichtung Rizals und zu Blumentritts Rolle in jener Zeit siehe Sichrovsky (1983:124-143).

2 Tochter Dolores, die in der Familie Blumentritt auch mit der philippinischen Variante ihres Namens „Loleng“ gerufen wurde.

3 Rizal meint hier wohl eigentlich den jüngsten Sohn Konrad.

4 Josephine Bracken. Gemeint ist die katholische Trauung. Rizal war mit Josephine bereits standesamtlich verheiratet. Bei Sichrovsky (1983: 138) ist von irischer Herkunft Brackens die Rede.

5 Beide entkamen einer Hinrichtung und lebten bis ins 20. Jahrhundert.

6 Synonym für Grausamkeit und Terror.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01177)