Hugo Schuchardt an Otto Hirschfeld (03-HSOH2)
von Hugo Schuchardt
01. 01. 1879
Deutsch
Schlagwörter: Collège de France Revue celtique Arbois de Jubainville, Henry d´ Hirschfeld, Otto (1888) Schuchardt, Hugo (1880) Michaelis, Adolf (1879) Rieche, Anita (Hrsg.) (1997) Wickert, Lothar (1979) Deichmann, Friedrich Wilhelm (1986) Benndorf, Otto/Hirschfeld, Otto (Hrsg.) (1879) Hirschfeld, Otto (1879) Benndorf, Otto (1879)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Otto Hirschfeld (03-HSOH2). Graz, 01. 01. 1879. Hrsg. von Hubert Szemethy (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7720, abgerufen am 21. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7720.
Verehrter Herr Kollege!
Seien Sie nicht allzu ärgerlich darüber dass das neue Jahr Ihnen eine indiskrete wissenschaftliche Frage meinerseits bringt. Bei Ihrer anhaltenden Beschäftigung mit den lateinischen Inschriften Galliens3 haben Sie doch wohl einen Ueberblick über gewisse sprachliche Erscheinungen, die in ihnen vorkommen, gewonnen. Es läge mir, der ich gerade mit keltisch-romanischen Studien beschäftigt bin, sehr viel daran zu wissen, ob auslautendes s etwa in demselben Verhältniss dies- wie jenseits der Alpen der Unterdrückung in der Schrift ausgesetzt ist. Ich entsinne mich einiger Beispiele von fehlendem s des Nom. Sg. in Inschriften von Lyon; wichtig sind mir auch die Dative matrebo namausicabo |2| mögen Sie nun der gallischen oder, wie Arlois de Jubainville4 will, der lateinischen Sprache angehören5. Für den lateinischen, wie für den Keltischen Philologen hat der Schwund auslautenden s’s durchaus nichts Befremdendes, wohl aber für den Romanisten, da im Französischen und Provençalischen dieser Laut überall gewahrt erscheint. – Haben Sie auch mit den paar gallischen Inschriften, die wir haben, sich etwas näher befasst, vielleicht lässt doch die bisherige Lesung der einen und andern noch zu wünschen übrig.
Für die gütige Mittheilung der Festschrift z. f. Gr. d. a. I.6 habe ich Ihnen und Benndorf noch meinen besten Dank zu sagen.7
Mit hochachtungsvollstem Gruss
Ihr ergebenster
H. Schuchardt
1 Brief von Hugo Schuchardt aus Graz an Otto Hirschfeld, 1. Jänner 1879 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Nachlass Otto Hirschfeld, Korr. Schuchardt, Hugo, fol. 3)
2 Am linken oberen Blattrand notierte Hirschfeld mit Bleistift „4/1“, das Datum seines Antwortschreibens an Hugo Schuchardt. Dieses Schreiben findet sich nicht im HSA
3 Otto Hirschfeld hatte im Jahr 1873 von Theodor Mommsen die Bearbeitung der Inschriften Galliens im Rahmen des Großprojekts des Corpus Inscriptionum Latinarum, durchgeführt von der Berliner Akademie der Wissenschaften, per Vertrag übertragen bekommen. s. Schreiben Otto Hirschfelds aus Prag an Eugen Bormann vom 1. Februar 1873 (Archiv der Karlsuniversität Prag, Nachlass Bormann).
4 Henri d' Arbois de Jubainville (1827–1910), französischer Keltologe und Historiker, bis 1880 Archivar in Troyes, ab 1882 Professor für keltische Sprache und Literatur am Collège de France in Paris und leitender Herausgeber der Revue Celtique von 1886 bis 1910.
5 Zu matrebo namausicabo auf einer Inschrift aus Nimes und zu Jubainvilles Theorien s. Hugo Schuchardt, Rez. zu Ernst Windisch, Kurzgefasste Irische Grammatik mit Lesestücken, Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1879, in: Zeitschrift für romanische Philologie 4, 1880, 124–155, bes. 149–150.
6 Aufzulösen als „Festschrift z[ur]. f[uenfzigjaehrigen]. Gr[uendungsfeier]. d[es]. a[rchäologischen]. I[nstituts].“ Gemeint ist das Instituto di Corrisponenza Archeologica in Rom, das 1879 sein 50jähriges Jubiläum feierte. Zur Geschichte dieses Instituts s. Adolf Michaelis, Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts 1829-1879. Festschrift zum einundzwanzigsten April 1879. Berlin: Asher & Co., 1879; Anita Rieche (Hrsg.), 150 Jahre Deutsches Archäologisches Institut. Rom [Ausstellungskatalog Bonn-Bad Godesberg]. Essen: Gemeinnützige Verwaltungsges. für Wissenschaftspflege, 1979; Lothar Wickert, Beiträge zur Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts 1879 bis 1929, Das Deutsche Archäologische Institut. Geschichte und Dokumente 2. Mainz: von Zabern, 1979; Friedrich Wilhelm Deichmann, Vom internationalen Privatverein zur preußischen Staatsanstalt, Das Deutsche Archäologische Institut. Geschichte und Dokumente 9. Mainz: von Zabern, 1986.
7 Vermutlich hatte Hirschfeld Schuchardt ein Exemplar seiner aus Anlass dieses Jubiläums mit Otto Benndorf verfassten Festschrift zugesagt: Otto Benndorf – Otto Hirschfeld (Hrsg.), Festschrift zur fuenfzigjaehrigen Gruendungsfeier des Archaeologischen Institutes in Rom. Wien: Carl Gerold’s Sohn, 1879. Hirschfeld war darin mit einem Beitrag „Zur Geschichte des Latinischen Rechtes“ vertreten (S. 1–16), und Benndorf schrieb „Ueber das Cultusbild der Athena Nike“ (S. 17–47).
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin - Preussischer Kulturbesitz. (Nachlass Otto Hirschfeld, Korr. Schuchardt, Hugo) (Sig. HSOH2)