Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (136-01173)
an Hugo Schuchardt
20. 07. 1890
Deutsch
Schlagwörter: Kartographie Reisen Rizal, José Schuchardt, Hugo (1890)
Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (136-01173). Leitmeritz, 20. 07. 1890. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.772, abgerufen am 29. 11. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.772.
Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.
20. Juli 1890
Hochverehrter Freund!
Ihr lieber Brief hat mir eine herzliche Freude bereitet und wenn ich nicht mit einer augenmörderischen Hingebung so ganz und gar an einer Karte des Rio Agúsan1 gearbeitet hätte, ich würde Ihnen stante pede geantwortet haben. So aber war ich mit magischen Banden an Ostmindanao gefesselt und selbst in der Nacht träumte ich vom Rio Batutu2, der Laguna de Mainit3 und dem M.te Diwata4. Heute ist alles fertig u. so gehöre ich meinen Freunden wieder.
Vor allem anderen schmerzt es mich, dass Sie an Leitmeritz vorüber fahren, ohne Ihren philippinischen Chiflado wenigstens für einige Stunden zu besuchen. Wenn's so weitergeht, werden wir uns in diesem irdischen Jammerthal nicht zu Gesichte bekommen. Ich bin zu eisenbahnscheu.
|2|Es müsste mich jemand Bekannter zu Ihnen hin u. wieder zurückhieher begleiten, das lässt sich nach Graz nicht so leicht ins Scene setzen. Also unterbrechen Sie einmal Ihre Fahrt, speisen Sie an meinem bescheidenen Tische u. plaudern Sie mit mir unter dem Schatten der mehrhundertjährigen Bäume unserer herrlichen Schützeninsel!
Was die Philippinen anbelangt, so habe ich Ihnen zu melden, dass der Verfasser des jüngsten tagalischen Wörterbuches, Don Pedro Serrano in Europa angekommen ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er mich besucht. Ich war von dieser Nachricht ungemein überrascht, ich wusste zwar, dass er darnach strebe nach Europa zu gehen, um sich auszubilden und dem Damoklesschwert der Deportation zu entgehen, aber ebenso wusste ich, dass man ihm die Erlaubnis nicht geben wolle. Ob er durchgebrannt oder mit Pass abgereist ist, weiß ich nicht. Ich erhielt nur von Paris die Anzeige seiner Ankunft. Morgen werde ich wohl mehr zu hören bekommen. 5
|3|Die philippinischen Actien stehen jetzt leider schlecht, das conservative Ministerium Cánovas wird die Reformen Becerras aufheben u. das unglückliche Land ganz den rachsüchtigen Frailes ausliefern! Wenn es nur nicht zu Erhebungen kommt! Die Spanier sind wirklich blind, und toll.
Meine Pag-Lacalles u. Pag-Barrantes6 schicke ich Ihnen demnächst. Es ist viel tolles Zeug darunter und einige Ketzereien, die man deutschen Akademikern nicht bieten dürfte, aber für diese Leute muss man, ihrem Horizonte gemäß schreiben. Man muss sich mit diesen Leuten herumschlagen, weil sie in maßgebenden Kreisen Spaniens u. der Philippinen – Dank der wahrhaft phaenomenalen Ignoranz jener Cirkel! – eine wichtige Rolle spielen, kollernde Truthähne, die man mit dem Besen zur Raison bringen muss.
Ich habe mit der letzten Manilapost keinen einzigen Brief von Seiten meiner philippinischen Freunde bekommen, Gott gebe, dass nicht die Polizei dahintersteckt!
|4|Rizal wird ein französisch geschriebenes Buch über die polit. u. Rassenzustände der Inseln veröffentlichen. Der Teufelskerl hat mir zwei Statuetten modelliert, die einem Künstler alle Ehre machen.
Es interessiert mich, dass Sie einen meiner Priebsche loben. Ich habe schon ein Dutzend Priebsche gedrillt, alles Prachtkerle! Weiß daher nicht, welchen Sie meinen. Wann hat er "unter mir" studiert? Auf dem Gymnasium oder der Realschule?
Bitte grüßen Sie ihn mir herzlich.
Ich gratuliere Ihnen zur Vollendung Ihres Malaiospanischen.7 Ich werde in wenigen Tagen eine Karte des Stromgebietes des Rio Pulangui8 in Angeriff nehmen, das Netz habe ich schon seit Monaten ausgearbeitet. Eine wunderbare Arbeit, die mich noch mehr begeistert, als der einförmigere Rio Agúsan.
Es umarmt Sie
Ihr getreuer
F. Blumentritt
1 Großer Fluss im Osten Mindanaos.
2 Zufluss zum Rio Agusan.
3 Großer See mit Verbindung zum Rio Agusan.
4 Berg beim Rio Agusan.
5 Serrano lebte und studierte bereits seit 1887 in Barcelona und Madrid, kehrte aber 1890 nach Manila zurück.
6 pag- ist ein sehr produktives philippinisches Präfix für Nominalderivationen. Blumentritt meint hier wohl seine Artikel in der Solidaridad, in denen er die Arbeiten Lacalles und Barrantes kritisiert.
7 Blumentritt meint hier wohl eigentlich Malaioportugiesisch. Schuchardt veröffentlicht 1890 Kreolische Studien IX .Ueber das Malaioportugiesische von Batavia und Tugu.
8 In Mindanao.