Otto Hirschfeld an Hugo Schuchardt (01-04751)
von Otto Hirschfeld
an Hugo Schuchardt
01. 02. 1877
Deutsch
Zitiervorschlag: Otto Hirschfeld an Hugo Schuchardt (01-04751). Wien, 01. 02. 1877. Hrsg. von Hubert Szemethy (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7718, abgerufen am 21. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7718.
Wien d. 1 Februar 77
IV Ploesslgasse 14.1
Verehrter Herr Kollege!
Gerade mit der Abfassung einer kleinen Notiz über Dacia Malvensis2 beschäftigt3, lese ich in dem eben erschienenen Buche von Jung Römer und Romanen4 S. 241 A. 1: „Prof. Schuchardt ist übrigens entschieden gegen diese Annahme H.՚s5, da malŭ ein gut rumänisches Wort ist und „Ufer“, so wie einiges andere bedeutet“. Mir war dieselbe Bemerkung schon von einem Rumänen gemacht worden und ich glaubte daraus eine Bestätigung, wenn auch nicht für die Lage der Colonia Malvensis bei Malu-de-jos, so doch für die Ansetzung der provincia Malvensis an dem Donauufer (kl. Walachei) ziehen zu können.6 Es entspräche das dem Aurelianischen Dacia ripensis auf dem jenseitigen |2| Ufer. Darf ich Sie, geehrter Herr College, daher um eine freundliche Notiz bitten:
1) ob die citirten Worte gedruckt oder nur briefliche Mittheilung sind.
2) ob Sie unter „gut rumänisch“ auch die uralten (wohl thrakischen?) Bestandtheile einbegreifen, so daß malŭ schon bei der römischen Occupation die Ufergegend bezeichnet haben könnte?
Verzeihen Sie die kleine Belästigung von Seiten eines Unbekannten, wenigstens wird es Ihnen schwerlich in Erinnerung sein, daß wir zu gleicher Zeit in Bonn studirt haben. Haben Sie im Voraus besten Dank.7
Ihr ganz ergebener
Otto Hirschfeld.
1 Hirschfeld wohnte seit seinem Wechsel von Prag nach Wien im Jahr 1876 im 4. Wiener Bezirk (Wieden), und zwar in der Plösslgasse 14 (heute: 12). Vgl. Brief Otto Hirschfelds aus Wien an Otto Benndorf, 23. April 1877 (Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Autogr. 645/25-7): „Es ist weitaus die beste und gesündeste Gegend, überall schöne Gärten“. Im März 1884 übersiedelte Hirschfeld in die Cottagegasse 13 nach Währing, wo er fast auf dem Land „etwas Charlottenburgartig, aber noch ziemlich ohne Bäume, sonst sehr hübsch“ wohnte. Zitat nach einer Correspondenz-Karte Otto Hirschfelds aus Wien an Eugen Bormann in Marburg, 28. März 1884 (Archiv der Karlsuniversität Prag, Nachlass Eugen Bormann).
2 Die römische Provinz Dacia, 106 n. Chr. von Trajan eingerichtet, war unter dem Kaiser Mark Aurel von 167 bis 169 n. Chr. neu strukturiert worden und gliederte sich seither in Dacia Apulensis, Dacia Porolissensis und Dacia Malvensis. Der Provinzteil Dacia Malvensis – das namensgebende Malva lässt sich heute nicht mehr genau lokalisieren, befand sich aber vermutlich im Bereich der Stadt Romula (heute: Reşca) – lag im Südosten Gesamt-Dakiens, also an der Donau. Zur Organisation der Provinz Dakien s. Ioan Piso, Fasti Provinciae Daciae I. Die senatorischen Amtsträger. Bonn: Habelt, 1993, 82–93; Kai Brodersen, Dacia felix. Das antike Rumänien im Brennpunkt der Kulturen. Darmstadt: wbg Philipp von Zabern, 2020, 162–179; vgl. ferner Friedrich Vittinghoff, War die Kolonie Malva mit Romula (Reşca) identisch?, in: Acta Musei Napocensis 6, 1969, 131–147; Nicolae Gudea, Der dakische Limes. Materialien zu seiner Geschichte, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 44, 1997, *1–*113; ders., Ländliche Siedlungen in den dakischen Provinzen (106-275 n. Chr.), in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 56, 2009, 187–319, bes. 189 Abb. 1.
3 Mit der „kleinen Notiz“ meinte Otto Hirschfeld wohl eine kurze Ausführung oder Bemerkung in der Art seines Zusatzes zu einem Beitrag von Grigore Tocilescu, Inschriften aus Rumänien, in: Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen aus Oesterreich 3, 1879, 40–46, bes. 41–42 Nr. 2 mit Anm. *: „Celeiu ist vielleicht der Sitz der Verwaltung des südlichen Daciens gewesen und möglicherweise dürfte hier die Colonia Malvensis (Corp. III p. 893 n. 51) zu suchen sein.“ Vgl. dazu CIL III Suppl. 1, 8042. Ein spezieller Aufsatz zu diesem Thema ist mir in Hirschfelds Schriften bislang nicht bekannt. – Erstmals hatte sich Hirschfeld nach einer gemeinsam mit Otto Benndorf im August und September 1873 im Auftrag der Regierung unternommenen Reise (vgl. Otto Benndorf – Otto Hirschfeld, Vorläufiger Bericht über eine archaeologisch-epigraphische Reise in Dacien, in: Mittheilungen der K. K. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 18, 1873, 328–333) mit der Dacia Malvensis befasst. s. Otto Hirschfeld, Epigraphische Nachlese zum Corpus Inscriptionum Latinarum vol. III. aus Dacien und Moesien, in: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 77, 1874, 363–429, bes. 370–375.
4 Julius Jung, Roemer und Romanen in den Donauländern. Historisch-ethnographische Studien. Innsbruck: Verlag der Wagner’schen Universitaets-Buchhandlung, 1877.
5 Bei Jung: „Hirschfelds“.
6 s. dazu Otto Hirschfeld, Epigraphische Nachlese … bes. 374–375.
7 Vgl. zur Frage der Lage der Dacia Malvensis auch die Briefe von Bogdan Petriceicu Hasdeu an Schuchardt vom 4. März 1877 (HSA 06-04431) und von Schuchardt an Hasdeu vom 11. März 1877 (HSA 07-1167).