Hugo Schuchardt an Friedrich August Otto Benndorf (01-HSFB1)

von Hugo Schuchardt

an Friedrich August Otto Benndorf

Graz

08. 02. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Berlin (Friedrich-Wilhelms-Universität) Hübner, Ernst Wilhelm Emil Hübner, Emil (1869) Noack, Friedrich (1927) Och, Laura (2017)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Friedrich August Otto Benndorf (01-HSFB1). Graz, 08. 02. 1879. Hrsg. von Hubert Szemethy (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7710, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7710.


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1Graz 8. Febr. 79.

Verehrter Herr Kollege!

Verzeihen Sie, wenn ich mit einer Mittheilung beginne, von der Sie sagen werden, „das geht mich gar Nichts an.“

Vor längerer Zeit schrieb ich an E. Hübner2 in Berlin und bat ihn um Empfehlungen nach Spanien. Da ich keine Antwort erhielt, glaubte ich den Brief verloren und wiederholte die Bitte. Gestern beantwortete mir Hübner in möglichst knapper Weise die an ihn gerichteten Fragen, erklärte nicht in der Lage zu sein, mir Empfehlungen zu geben, da |2| die im Süden vorübergehend angeknüpften Beziehungen nicht ausreichten und schloss mit den Worten: „Im Uebrigen glaube ich der Belehrung darüber was von den politischen Gesinnungen der Nation zu halten sei, nicht zu bedürfen.“

Sie wissen, dass diese Ausdrucksweise innerhalb der guten Gesellschaft immer und zweifellos als eine beleidigende gilt und welche Folgen ihr Gebrauch in der Konversation nach sich zu ziehen pflegt. In meinem Brief lag kein Anlass dazu vor; er war durchaus höflich, erkenntlich für früher erfahrene Liebenswürdigkeit und, was ich allerdings jetzt sehr bedauere, expansiv und zutraulich gewesen. Ich hatte von gewissen Eindrücken gesprochen, die ich aus der Lektüre und aus dem Umgang mit Spaniern gewonnen und hatte mich dabei auf eine ganz allgemeine Äusserung Hübner’s bezogen, von der ich glaubte, er hätte sie mir einst |3| gegenüber gethan, die er aber in Abrede stellt (es handelte sich um den spanischen Liberalismus). Natürlich war es mir nicht im Traum eingefallen, selbst ein Urtheil über die politischen Zustände eines Landes zu fällen, das ich nicht aus eigener Anschauung kenne; und noch weniger Hübner eine Belehrung zu ertheilen. – Ob Hübner irgend einen andern Anlass zur Missstimmung gegen mich hat (der kühle Ton des gesammten Briefes lässt es mich vermuthen) weiss ich nicht; ich bin nur einmal, und zwar in der freundschaftlichsten Weise, mit ihm in Berührung gekommen (vor 6 Jahren) und habe weder mündlich noch schriftlich mich je anders als anerkennend über ihn geäussert. Diese Angelegenheit geht Sie allerdings gar Nichts an; aber da ich Sie als einen billig denkenden und leidenschaftslosen Menschen kenne und achte, so werden Sie, falls Ihnen sich die Gelegenheit bietet, |4| es nicht vermeiden, ein Missverständniss zu beseitigen oder einer Misshelligkeit vorzubeugen. Sie sind als näherer Bekannter H.՚s vielleicht davon unterrichtet, ob er Etwas gegen mich hat; Sie können mir vielleicht sagen, ob er auch in andern Fällen sich eines derartigen Tones befleissigt. Am Liebsten würde ich nämlich in jenem Passus nicht eine persönliche Anzüglichkeit, sondern einen Mangel an Erziehung, eine Taktlosigkeit sehen. Es ist das vielleicht ererbt. Eine der merkwürdigsten Geschichten ist mir in Rom mit Hübner’s Bruder3 passirt.4 Als wir von einem Balle in der Galleria Dantesca5 zu Hause gingen, befand er sich in Gesellschaft eines Herrn und einer Dame und ich sagte ihm: „Haben Sie doch die Güte mich den Herrschaften vorzustellen.“ Er schlug mir das mit den Worten ab: „Ach lieber gar, jetzt noch!“

Ich bitte Sie durchaus nicht um eine Antwort; ich stelle es Ihnen frei, mir irgend eine Aufklärung zu geben, wenn Sie überhaupt im Stande sind, eine solche zu geben. Wenn Sie meine Behelligung wunderbar finden werden (ich verarge Ihnen dies durchaus nicht), so entschuldigen Sie mich um des wunderbaren Anlasses willen. Wenn man, seit zwei Monaten an Magenverstimmung leidend und in Folge dessen auch geistig deprimirt, nach allem möglichen andern Ärger noch derartige Flegelhaftigkeiten von Seiten hochgebildeter Männer (ich sehe von der Kollegialität ganz ab) erfährt, dann kann es leicht sein, dass man sich auf umfassende Weise Luft macht.

Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebenster
H. Schuchardt.


1 Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, Autogr. 659/19-1.

2 Emil Hübner (1834–1901), klassischer Philologe und Epigraphiker, seit 1863 Professor für klassische Philologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Er war Mitarbeiter am Corpus Inscriptionum Latinarum, bereiste lange und wiederholt Spanien und Portugal und gab die lateinischen Inschriften der hispanischen Halbinsel heraus. Emil Hübner, Corpus Inscriptionum Latinarum II. Inscriptiones Hispaniae Latinae. Berlin: Reimer, 1869–1892.

3 Eduard Hübner (1842–1918), Maler. Er hielt sich von 1867 bis 1875 mehrmals für längere Zeit in Rom auf. Vgl. Friedrich Noack, Das Deutschtum in Rom seit dem Ausgang des Mittelalters, 2. Band. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1927, 280; Offizielle Website zu Eduard Hübner https://sammlunghuebner.de/eduard-huebner, 10.12.2021.

4 Dieser Vorfall muss anlässlich eines Rom-Aufenthalts von Schuchardt in den Jahren 1868 oder 1869 passiert sein.

5 In der Galleria Dantesca im Palazzo Poli beim Trevi-Brunnen, ursprünglich von Romualdo Gentilucci als Ausstellungsort für Filippo Bigiolis große Dante-Gemälde konzipiert, befand sich ab den 1860er Jahren ein Konzertsaal, der unter der Leitung von Giovanni Sgambati am 26. Februar 1866 unter Anwesenheit von Franz Liszt mit dessen Dante-Symphonie eingeweiht wurde. s. Laura Och, Un’interpretazione multimediale della commedia inattuata: La Dante-Symphonie di Franz Liszt, in: Alberto Castaldini – Vasco Senatore Gondola (Hrsg.), La presenza di Dante nella cultura del novecento. Atti del convegno di studio svoltosi a Verona dal 28 settembre al 2 ottobre 2015. Verona: Accademia di Agricoltura Scienze e Lettere di Verona, 2017, 123–141, s. auch https://www.grafica.beniculturali.it/istituto# – La Sala Dante, 30.1.2022.

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