Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (131-01168)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

26. 08. 1889

language Deutsch

Schlagwörter: Manuskriptnachlass Solaridad Publikationsversand El Liberal Revista de España Weltausstellung Universitätsbibliothek Grazlanguage Küchenspanisch Rizal, José Sichrovsky, Harry (1983) Blumentritt, Ferdinand (1889)

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (131-01168). Leitmeritz, 26. 08. 1889. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.767, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.767.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


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26. August 1889

Verehrter Freund!

Ihr liebes Schreiben hat mir eine außerordentliche Freude bereitet, denn ich habe schon lange mich nach einem Lebenszeichen von Ihnen gesehnt und fürchtete schon, Sie hätten "auf" Ihren "Chiflado"-Freund gänzlich vergessen. Ich bereue es jetzt, dass ich Ihnen bisher nicht meine in jeder Nr. der Solaridad1 erscheinenden politischen Artikel nicht gesendet habe. Mit der gestrigen Post erhalten Sie die zwei jüngsten, welche leider nur Balgereien mit der Quioquiap2-Bande enthält. Ich schreibe diese Artikel in einem Zuge und schicke sie ungelesen ab, lese ich sie dann gedruckt, so ärgere ich mich über viele Einzelheiten, doch bin ich mit der Gesammtmusik zufrieden.

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Ich werde Ihnen fortan die Erzeugnisse meines Español de cocina senden.

Auf den Philippinen herrscht in den Kreisen der Altspanier und Pfaffen eine entsetzliche Wut gegen mich, man beschimpft mich in der gröblichst-gemeinsten Weise und sucht mich besonders durch Verbreitung des albernen Gerüchts, ich wäre ein deutscher Spion und "la mano de Bismarck"!!!! zu descreditieren. Die Kerle begreifen es in ihrer Dummheit nicht, dass ich so gut unterrichtet über die Philippinen bin und dass mein Name, ohne dass ich auf den Philippinen gewesen wäre, selbst unter dem gemeinen Indio bekannt 1* ist, da muss natürlich Bismarck dahinter stecken. Besonders die Frailes haben eine ohnmächtige Wut, da meine Schriften nichts antikatholisches enthalten und ich doch

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ihre Schliche aufdecke und das lichtscheue Pack beleuchtete. In der nächsten Nr. der Solaridad werde ich den Augustiner Rodrigues einiger Fälle von pia frans zeihen.

Die Vorrede von "El noli me tangen"3 stammt allerdings von Pláridel4 (ein Pseudonym) eines philipp. Juris Doctors her. Er hat mir durch seine bombos 1** keinen angenehmen Dienst erwiesen. Ich habe an 200 Exemplare verschickt, auch an den Albarez Machado5. Bitte, wenn Ihnen in der Revista de España oder sonstwo eine abfällige oder feindliche Kritik meines Folleto begegnet, so machen Sie mich darauf aufmerksam. Ich glaube, ich werde sehr viel angegriffen werden und nur von den wenigsten dieser Angriffe etwas erfahren. Und doch möcht ich's wissen, um allenfalls antworten zu können. Vielleicht können Sie durch Ihre spanischen Freunde mehr erfahren als ich durch die meinigen, die vielleicht glauben, ich ärgere mich über eine Censur u. dgl.

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Demnächst erscheint ein größeres Folleto6 von mir, das mit der allgemeinen politischen Lage der Philippinen sich beschäftigt. Der Prólogo wird von Rizal stammen7, er soll eine Überraschung für mich werden, wenn nur nicht eine solche wie die bombos des Pláridel.

Ich werde Rizal schreiben, vor October oder November wird er aber kaum Ihnen antworten können, denn jeder Manila Dampfer bringt einen Haufen von Philippinern, die nach Paris zur Ausstellung8 pilgern und Rizal nicht auslassen, der für sie dasselbe ist, wie Garibaldi für die Italiener u. Kosserth für den Magyar ember9. Ich selbst habe während des ganzen August nur zwei ganz kurze Briefe erhalten, während sonst Rizal mir mit jeder Post sehr ausführlich schreibt. Dabei unternimmt er mitunter einen Rutscher nach Barcelona.

Mit herzlichen Grüßen Ihr

getreuer

F. Blumentritt

* [Fußnote auf Seite 2] 1) Blumentirit mein Name bei den nicht spanischsprechenden Indiern. Viele, auch gebildete, glauben gar nicht an meine Existenz, sondern vermuten, es sei ein Pseudonym eines Philippiners.

** [Fußnote auf Seite 3] 1) Nebenbei drin ein großer Bock: es hat keine Tawi-tawi10-Frage gegeben, sondern eine Borneofrage.11


1 Hier und im folgenden ist mit „Solaridad“ die 1889 von Exilphilippinern in Madrid gegründete Zeitschrift der philippinischen Reformbewegung „ La Solidaridad“ gemeint. Blumentritt publizierte darin regelmäßig. Informationen zur Solidaridad und Blumentritts Beitrag sind in Sichrovsky (1983: 81-87) zu finden. In Schuchardts Nachlass ist allerdings nur ein Exemplar (Nr. 41, vom 15.10.1890) erhalten. (Materialienband B.11.10.1.1)

2 Pseudonym für Pablo Feced y Temprano, Spanier auf den Philippinen, der ab 1886 in der Madrider Zeitung El Liberal regelmäßig satirisch-abwertende Berichte über das Leben der Philippiner verfasste.

3 Vermutlich handelt es sich hier um eine kürzere Version von Blumentritt (1889), die er noch in diesem Brief ankündigt. Wo die betreffende Schrift veröffentlicht wurde, ist leider nicht bekannt.

4 Pseudonym von Marcelo Hilario del Pilar y Gatmaytan (1850 - 1896), philippinischer Revolutionär, u.a. Verfasser und Mitherausgeber der Solidaridad . Zur Verteidigung Rizals gegen Angriffe des Klerus verfasste er 1888 ein schonungsloses Pamphlet, weswegen er auf den Philippinen verfolgt wurde und nach Spanien auswanderte. Von dort aus unterstützte er die Revolution weiter, bis er 1896 verarmt starb.

5 Antonio Machado Álvarez (1848-1893), spanischer Schriftsteller, Anthropologe und Folklorist.

6 Blumentritt, Ferdinand (1889b). Noli me Tangere de Rizal – Juzgado por el Profesor F. Blumentritt. Blumentritt verteidigt in dieser ca. 30-seitigen Streitschrift nicht nur Rizal und seinen Roman, sondern greift auch die spanischen Machthaber mit deutlichen Worten an. Ausführliche Ausschnitte aus der Schrift finden sich in Sichrovsky (1983: 68-76). In der UB Graz befindet sich ein Exemplar aus dem Besitz Schuchardts, darin eine handschriftliche Widmung von Blumentritt.

7 Auszüge aus dieser Vorrede von Rizal, die eine wahre Lobeshymne auf Blumentritt sind, findet man bei Sichrovsky (1983: 69f.).

8 Weltausstellung in Paris 1889.

9 Ungar. ember „Mensch“.

10 Inselgruppe in der Sulusee. Südlichste Provinz der Philippinen, damals als Sultanat von Sulu unter britischer Hoheit.

11 Das nördliche Borneo gehörte zu jener Zeit ebenfalls zum Sultanat von Sulu.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01168)