Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (106-01143)
an Hugo Schuchardt
27. 09. 1885
Deutsch
Schlagwörter: Literaturhinweise / bibliographische Angaben Politik- und Zeitgeschichte Sociedad Geográfica de Madrid Sprachprobe Biographisches Kongresse und Versammlungen 7. Internationaler Orientalistenkongress, September 1886 in Wien Spanischbasierte Kreolsprache (Philippinen) Kempermann, [NN] Pardo de Tavera, Trinidad Hermenegildo Meyer, A. B. Fernando Póo Behm, Ernst/Wagner, Hermann (Hrsg.) (1880) Fernández Rodríguez, Mauro (2010)
Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (106-01143). Leitmeritz, 27. 09. 1885. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.742, abgerufen am 10. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.742.
Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.
Leitmeritz, 27. Sept. 85
Verehrter Freund!
Danke bestens für Ihre lieben Zeilen, habe überdies erfahren, dass an der ganzen Verwicklung der Deutsche Consul in Manila Hr. Kempermann schuld ist, welcher seinen japanologischen Studien zu liebe sich um die Verhältnisse des Landes nicht kümmerte und so seine Regierung ohne alle Informe beließ. Was Deutsche Werke anbelangt, welche die Carolinen als spanisches Eigenthum citieren, so führe ich Ihnen eines unseren besten an:
Behm & Wagner, Die Bevölkerung der Erde VI., Gotha, Justus Perthes 18801, auf S. 95:
"Die Spanier besitzen in den asiatischen Gewässern außer den Philippinen u. Sulu-Inseln, auch noch die Marianen- u. die Carolinen.“ Ebenso Helluned, Balbi etc. Ebenso viele Atlanten und beinahe alle Schulwandkarten von Australien.
|2|Das ist es ja, was mich bei der ver. Angelegenheit so ärgert, in Deutschland waren die Ansprüche der Spanier bekannt und man gerierte sich als befreundet mit Spanien und schnappt dann hinterlistig jene Paradiese der Unzucht weg. Jene Note vom J. 75 bezieht sich auf die Souverniaet nicht allein, sondern hängt mit dem insolenten Verlangen der Spanier zusammen, so dass sie in Manila von deutschen Schiffen, die von den unbesetzten Carolinen herkamen, Zoll erheben wollten. Was Cánovas de Castillo's Ausspruch anbelangt so ist derselbe freilich eine cosa de España und hängt mit dem spanischen Ignorantenthum eng zusammen, von welchem ich Ihnen folgende schöne Stückchen erzählen will:
Die Sociedad geográfica de Madrid brachte im vorigen (ó vor[vorigen]) Jahre eine kurze Notiz, dass die "Deutsche Regierung die Insel Fernando Póo zu occupieren beabsichtige u. fand das ganz löblich. Hinterher erst merkten die Consocios, dass Fernando Póo ja eine spanische Besitzung wäre u. dass die Deutschen|3| dort nur ein Kohlendepot errichten wollten. In der Ilustración v. 30/8 83 wird von Bismarck gesagt, er würde dann (nach erfolgter Besitznahme der Carolinen) die Westküste von Mindanao occupieren, weil dies die Spanier noch nicht gethan hätten! Dem guten Manne ist also nicht bekannt, dass in Polloc, Cottabató, Ipil, Istmo, Tumbao, Taviran, Lumbao etc. ¼ der philippinischen Armee in Garnison liegt. Y basta.
Ihrer Mahnung habe ich unbewusst Folge geleistet: Gestern gieng ein Artikel ab nach Berlin, der sich nicht mit den Philippinen sondern mit dem Erdtheile der Mode, mit Afrika, beschäftigt.
Inliegend erhalten Sie wieder einen Beitrag für Ihre Studien.
Pardo de Tavera wollte auch Ihnen einen Besuch machen, er musste aber wegen seiner schwächlichen Körperformation dies aufgeben, nachdem ihn ein Franzose in Wien zu einem Abstecher nach Budapest verleitet hatte.2
|4|Er wollte drei Tage hier verbringen, blieb aber eine volle Woche, ich habe ihn außerordentlich liebgewonnen, so dass das Scheiden mir schwer wurde. In der Carolinenfrage wünschte er den Krieg, weil er von dem Siege der Deutschen überzeugt war und so hoffte, dass sein engeres Vaterland entweder Autonomie oder die Unabhängigkeit erlangte, auch gegen eine deutsche Annexion hatte er nichts einzuwenden. Mir hat es ungemein gefallen, dass er ein Spanier u. Creole, der mitten in der seichten Pariser Salonwelt lebt, so ernste Studien betreibt u. dabei in politischen Dingen klar und ruhig dreinblickt. Ausgenommen die Zukunft der Philippinen! Dasselbe Urtheil über ihn fällt A.B. Meyer. Leider ist seine Gesundheit sehr schwach. – Schreiben Sie ihm um Pidgin-Spanisch-Proben, er hat mir ganze Dialoge in diesem Jargon der Señolias aufgeführt. Übrigens kömmt er zum Orientalistencongress 863 nach Wien.
Würde Ihnen mehr schreiben, bin aber zu müde, habe zwei Nächte schon schlaflos mit Herzklopfen zugebracht.
Herzliche Grüße von Ihrem pobrecito
F. Blumentritt
1 Behm, Ernst/Wagner, Hermann (Hrsg.) (1880). Die Bevölkerung der Erde. Jährliche Übersicht über neue Arealberechnungen, Gebietesveränderungen, Zählungen und Schätzungen der Bevölkerung auf der gesamten Erdoberfläche.
2 Siehe auch Brief Nr. 8561 Pardo de Taveras an Schuchardt (Fernández 2010, dieser Band).
3 7. Internationalen Orientalistenkongress, September 1886 in Wien.