Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (105-01142)
an Hugo Schuchardt
20. 09. 1885
Deutsch
Schlagwörter: Politik- und Zeitgeschichte Pardo de Tavera, Trinidad Hermenegildo [o. A.] ([o. J.]) Sichrovsky, Harry (1983) Fernández Rodríguez, Mauro (2010)
Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (105-01142). Leitmeritz, 20. 09. 1885. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.741, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.741.
Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.
Leitmeritz, 20. Sept. 1885
Muy querido amigo:
Sie fragen mich, ob die Ansprüche der Spanier auf die Carolinen a) anfechtbar oder unanfechtbar b) so unanfechtbar wären, dass der Appell an ein Schiedsgericht eine Schmach für die Spanier involvierte?
Nach meinem Gewissen u. Wissen sind die Spanier berechtigt die Carolinen als ihren Besitz anzusehen, das moderne Faustrecht verlangt freilich die effective Besitznahme eines theoretisch beanspruchten Landes, die Spanier freilich sagen "haben denn die Deutschen im Bismarck-Archipel auch Castelle angelegt, Beamte eingesetzt? Nein, sondern auch nur die Flaggen aufgehisst."1
Übrigens liegt der Schwerpunkt dieser Frage in der deutschen Perfidie, die diesmal stattgefunden hat: Nehmen Sie ein xbeliebiges Handbuch der Geographie oder ein Conversationslexikon zur Hand, so werden Sie sub voce Carolinen finden, "diese Inseln sind spanischer Besitz" oder "diese Inseln werden von den Spaniern beansprucht". Gerade in Deutscheland ist der Glaube an den spanischen Besitz der Carolinen am verbreitetesten |2| Sie selbst haben ja von mir Proben des Spanischen der Carolinen haben wollen. Es war also in Deutschland der span. Anspruch bekannt u. man hätte erwarten können, dass man einer befreundeten Nation nicht ohne Anfrage ein von derselben beanspruchtes Land wegschnappt.
Ich kann also hier von einer Perfidie sprechen, die man nachdem die Action Lüderitzland2 so glücklich bei England versucht hatte, nun auch an den Hidalgos vornehmen wollte. Ich selbst wusste von der geplanten Besitznahme des Archipels schon im Mai, Mitte Juli war ich im Besitze der Zeitungsausschnitte Manila's, welche die Proclamation Terrero's enthielten, wonach die Carolinen als Gobierno politico-militar de Carolinas mit der Residenz Yap dem Generalcapitant einverleibt werden u. zugleich der Clerus aufgefordert wird, für die Yap-Insulaner zusammeln. Das wusste ich armer Schulmeister in Leitmeritz Mitte Juli in Leitmeritz u. Bismarck wollte von seinem Berufs-Consul nicht auch unterrichtet gewesen sein? Dieser Act Bismarcks ist |3| weißzuwaschen, ich selbst theilte ihm alles dies, was mir bekannt war, mit, erhielt natürlich keine Antwort.
Da liegt eben der Hund begraben, die Spanier sind über die Treulosigkeit Deutschlands empört u. mit vollem Recht, freilich die Art u Weise, wie ihre Empörung sich äußert, ist eine traurige Don Quijoterie u. ich bedaure tief die wahnsinnigen Acte der irritierten Spanier. Auch ich habe den irrsinnigen u. albernen Wisch Machado's erhalten, er ist aber nicht der einzige Narr: kein einziger meiner spanischen Freunde ist von diesem Taumel freigeblieben, selbst Coello3, der edle Guis, der der Congoconferenz in Berlin beiwohnte, u. Ferreiro nicht. Schade um Alfonso4, er wird gehen müssen, Spanien wird der alten Anarchie heimfallen, u. ins Schlepptau der franz. Rep. genommen werden. Bismarck |4| hat den Franzosen in die Hände gearbeitet. Von nun werden die Deutschen in den Philippinen einen schweren Stand haben, sie sind sospechosas y basta. Dessen sind doch die Carolinen nicht wert!
Ich wiederhole: die Wegnahme der Carolinen ist eine Perfidie, unternommen in Folge der Unkenntnis des spanischen Characters.
Mich leitet keinen Vorliebe für die Spanier, denn ich bin ein Deutscher u. habe mit Jubel die deutsche Colonialpolitik begrüsst, aber ich bin kein Mensch, der alles billigt u. bewundert, was seine Stammesgenossen thun. Wie aber der spanische Zorn sich äußert das ist eine complete Narrheit.5 Selbst kühle Leute, die gestehen, dass Spanien dem Deutschen Reich zur See nicht gewachsen ist, erklären seinen unglücklichen Krieg der Schmach vorzuziehen, das spanische Anrecht erst discutieren zu lassen.
Am meisten schäme ich mich, wenn dieselben Zeitungen, die bei der Reise des deutschen Kronprinzen nach Madrid die Spanier und ihre Armee so übern grünen Klee priesen, jetzt von ihnen von einem Deutschvolk u. von ihren Soldaten wie von einer feigen Bandolerosbande reden.
Mit herzlichen Grüßen Ihr getreuer
F. Blumentritt
1 Am 24. August 1885 hissten die Deutschen die Reichsflagge auf Yap (Karolinen). Spanien entsandte von den Philippinen eine Flotte, um dies zu verhindern, diese kam aber zu spät. Daraufhin entbrannte die sogenannte „Karolinenfrage“ zwischen Deutschland und Spanien. Letztere sahen sich als rechtmäßige Besitzer der Inseln. Im Oktober 1885 entschied Papst Leo XIII., daß Madrid die Souveränität über die Karolinen erhalten solle, Deutschland aber wichtige Handelsrechte einzuräumen waren.
2 Deutsch Südwest-Afrika. Deutsche Kolonie, nachdem Alfons Lüderitz dort Land erworben hatte, und Bismarck es 1884 unter deutschen Schutz stellte.
3 Francisco Adolfo Coelho (1843-1919), portugiesischer Pädagoge, Linguist, und Ethnograph. Blumentritt schreibt auch an anderer Stelle Coello für Coelho. Allerdings ist Coelho Portugiese. Schuchardt stand ebenfalls in Kontakt mit Coelho. Im Nachlass Schuchardts existieren 33 Briefe (Briefe Nr. 01652-01682).
4 Alfonso XII. von Spanien.
5 Die Entrüstung seitens der Spanier über den deutschen Akt führte zu spontanen Übergriffen in Madrid gegen Deutsche. (Siehe Die Carolinenfrage. In: Amtspress Preußens, IV. Jahrgang, Nr. 86. Neueste Mittheilungen.)
6 Pardo de Tavera war im September 1885 zu Besuch bei Blumentritt in Leitmeritz. Er residierte, wie zwei Jahre später Rizal, im Hotel Krebs (s. Sichrovsky 1983: 36). Im Brief Nr. 8561 berichtet Pardo de Tavera Schuchardt von der außerordentlichen Gastfreundschaft Blumentritts (s. Fernández 2010, dieser Band). (S. dazu auch Sichrovsky 1983: 22-24).