Rudolf Beer an Hugo Schuchardt (14-00911)

von Rudolf Beer

an Hugo Schuchardt

Wien

15. 06. 1905

language Deutsch

Schlagwörter: Kaiserliche und Königliche Hof-Bibliothek (Wien) Karabacek, Josef von B., O. [ev. Braun, Otto] [oder Bulle, Oskar] (1905) Venturi, Adolfo (1901–1940)

Zitiervorschlag: Rudolf Beer an Hugo Schuchardt (14-00911). Wien, 15. 06. 1905. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7264, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7264.


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Dr. Rudolf Beer k. u. k. Amanuensis an der k. u. k. Bibliothek
Wien, den 15. Juni 1905 VIII., Florianigasse 2.

Hochverehrter Herr Hofrat,

Ihre gütigen Zeilen vom 13. erhalte ich erst heute, 6 Uhr Nachm., da ich nach zwei Prosem.-Stunden heimkehre, an die oben vorgedruckte Adresse nachgesendet. Um die Antwort nicht zu sehr zu verzögern, schreibe ich sofort, obwohl ich nach 5 St. Amt u. 2 St. Kurs etwas ermüdet bin. Herr Hofrath sind gütig genug, diesen Umstand entschuldigend anzurechnen.

Betreffs eines span. Ethnographen kann ich nur rathen, bei dem in Ihrer Festschrift mit Ehren genannten Men. Pidal1 als Gewährsmann zu bleiben; ich weiß recht gut, daß er auf diesem Gebiet nicht Fachmann ist, aber er scheint doch ein offener Kopf zu sein, vielseitig tätig u. wohl geeignet zu dienen, da er ja gut weiß, worum es sich eigentlich handelt, was man Anderen, des rein Gegenständlichen vielleicht mehr Kundigen wohl nur mit Mühe |2| begreiflich machen würde. Es ist übrigens schade, daß ich nicht schon vor Antritt meiner Frühjahrsreise um dies Ihr Desiderium wußte.

Gegenüber der Witwe M.2 befinden Sie sich wahrscheinlich in ähnlicher Verlegenheit wie ich. Die Bibliothek kondolierte amtlich durch den K. u. K. öst. ung. Gen. Konsul in Florenz, was ja angieng. Der Private weiß nicht, wie er es halten soll. So viel ich vermuthe, wird via Montebello 50 noch die Adresse sein, doch kann ichs nicht verbürgen. Nach Wien dürfte die Witwe, die selbst leidend ist, noch nicht zurückgekehrt sein.3

B. ist nach meinem Dafürhalten ein stiller, bescheidener Mann, fast jedermann um Verzeihung bittend, daß er sich erlaube, auf der Welt zu sein, und unfähig, gegen den anerkannten Meister in Österreich einen sei’s auch nur versteckten Hieb zu führen.4 Der Artikel war eben sehr schnell geschrieben, und höchstens könnte man es sich denken, daß Ihre Festschrift in demselben nicht erwähnt wurde, weil man sich mit deren Grundgedanken hätte auseinandersetzen müssen – dieser weicht eben von der hier fast ausschließlich und als alleinseligmachend betriebene Methode zu erheblich ab. Ich komme da |3| auf eine Tendenz zu sprechen, die mir oft die Feder aus der Hand nahm, weil sie vom sachlichen zum persönlichen nur zu oft übergriff und als exul brandmarkte wer einfach ein anderes, seis auch stark benachbartes Gebiet bestellte; damit ist nicht nur manche bescheidene aber ehrliche Mitarbeit sondern auch eine Laufbahn, ja Existenz abgeschlachtet worden.

Ich komme aus der Bitterkeit nicht heraus, wenn ich gleich auf ein anderes Gebiet, uzw. auf die N. Fr. Pr. übergehe. Daß dieses Blatt bisher Ihre Meisterarbeit totschwieg, wundert mich gar nicht (ich lese, weil ich wohl muß, fand aber bis jetzt auch nichts) vielmehr wäre ich erstaunt gewesen, wenn man sich zu einer Würdigung aufgeschwungen hätte. Ist es Ihnen denn entgangen, daß die N. Fr. Pr. in litterar. Dingen kein österr., nicht einmal ein deutsches, sondern ein französisches Blatt ist? Was via (bald hätte ich gesagt cloacā) Nordau5 in die Fichtegasse kommt, selbst das elendeste Machwerk eines Pariser Skribenten, wird sofort breit aufgetischt. Meine Besprechung der |4| Briefe Leopolds I. (Ausgabe von Pribram-Landwehr in den Fontes)6 liegt seit einem Jahre im Red. Schreibtisch - freilich handelte es sich da nur um einen österr. Kaiser, der sich in völlig neuem Licht zeigt! Ähnlich geht es meiner Anzeige von Venturi’s großer Storia dell’arte ital., Bd. III.7 Sollte ich, ohne nach Canossa gehn zu müssen, Gelegenheit zu einer Mahnung haben (Mz ist ein Egoist, der für einen andern keinen Finger rührt)8 so werde ichs tun und hoffe den vers den meine indignatio9 auf derlei Treiben machen muß, hiebei unterdrücken zu können.

Verzeihen Herr Hofrath diesen Herzenserguß. Mein gütiger Chef, HR. Kar.,10 erzählte mir erst gestern, wie freundlich Sie sich jüngst meiner erinnerten, und das gab mir den Mut, auszusprechen, was ich sonst mit mir herumtrage, übrigens über kurz oder lang von Anderen, Maßgebenderen auch gesagt werden wird.

In aufrichtiger treuer Verehrung

Ihr

R. Beer.


1 Ramón Menéndez Pidal (1869-1968), vgl. HSA 07006-07032.

2 Adolf(o) Mussafia war am 7. Juni 1905 in Florenz verstorben. Er war zeitweise auch Bibliothekar der Hofbibliothek gewesen. Seit 1867 war er mit der Wienerin Regina Rohnthal verheiratet, vgl. HSA 07694-07696.

3 Mussafia ruht auf dem protestantischen Cimitero degli Inglesi in Florenz, Settore C 27. Die Inschrift lautet: ADOLFO MUSSAFIA / N. A SPALATO, IL 15 FEBBRAIO 1834 / M. A FIRENZE IL 7 GIUGNO 1905 / LA MOGLIE INCONSOLATA/ REGINA MUSSAFIA / AUSTRIA / DELLA VEDOVA REGINA MVSSAFIA MORTA A VIENNA IL XV / MARZO M.D.CCCC.XV. QVI PER SVO VOLERE FVRONO DEPOSTE LE CENERI IL SUSSEGVENTE XI APRILE / 2011 ( http://www.florin.ms/ChapterC.html).

4 Nicht identifiziert. Möglicherweise ist der Rez. O. B. der Mussafia-Festschrift in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 37, 1905, gemeint. Otto Braun (1824-1900) und Oskar Bulle (1857-1917), die (Datenbank des HSA) als Verfasser vermutet werden, scheiden aus verschiedenen Gründen (Lebensalter, Wohnort) aus.

5 Max Nordau (1849-1923), seit 1876 in Paris etabliert, Schriftsteller, Philosoph und Auslandskorrespondent.

6 Privatbriefe Kaiser Leopold I an den Grafen F. E. Pötting, Wien: Gerold, 1903-04, 2 Bde. (Fontes rerum Austriacarum : 2. Abt.: Diplomata et acta; 56) [Francisco Eusebio de Pötting / Alfred Francis Pribram].

7 Adolfo Venturi, Storia Dell’Arte Italiana, Mailand 1901-1940, 10 Bde.

8 Nicht identifiziert.

9 „Si natura negat, facit indignatio versum“ (Iuvenal).

10 Josef von Karabacek (1845-1918), Orientalist und Bibliothekar; vgl. HSA 05270-05292.

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