Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (087-01124)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

24. 11. 1884

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Czernowitz Kartographie Biographisches Naturhistorisches Museum (Wien) Supan, Alexander Loserth, Johann Hruza, Ernst Müller, Friedrich Scherzer, Karl Hochstetter, Christian Gottlob Ferdinand von Pardo de Tavera, Trinidad Hermenegildo (1884)

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (087-01124). Leitmeritz, 24. 11. 1884. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.724, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.724.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


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Leitmeritz, 24. November 1884

Verehrter Freund!

Ich muss Sie vor allem anderen um Verzeihung bitten, dass ich Ihren liebenswürdigen Brief nicht sofort beantwortet habe, um Ihnen meinen herzlichen Dank für Ihr warmes Fördern meiner Angelegenheit zu sagen, ich wollte eben Sie, der Sie so wie so übergenug zu thun haben, nicht mit meinen Briefen bombardieren. Wenn ich heute Ihnen über Czernowitz schreibe, so geschieht es nicht, um Ihnen eine schleunige Antwort abzujagen, zumal Sie ja selbst schreiben, die Suppe würde nicht so schnell gekocht werden. Ich will eben nur referieren.

Ich schrieb Ihnen also zuletzt, dass Supan, falls seine ehemaligen Collegen bei ihm anfragten, ihnen meinen Namen auch nennen würde. In demselben Schreiben fügte er bei, ich möchte noch überdies mich an Loserth1 brieflich wenden. Letzteres habe ich noch nicht gethan, da ich wirklich nicht weiß, in welcher Form ich dies thun könnte. Soll ich ihm zugleich meine Arbeiten einsenden, so kömmt mir dies etwas eigenthümlich war [sic], meine Abhdlgn. sind sämtlich in Programmen oder Zeitschriften erschienen, |2| (es sind deren 31 größere und kleinere Abhdgn, 15 Compilationen und Bearbeitungen und 29 Übersetzungen aus dem Spanischen, Holländischen und Französischen), alle Separatabdrücke die ich besaß, sind längst weg, nun müsste ich ein ganzes Paquet von Zeitungsheften abschicken, was nach meiner Ansicht keinen erhebenden Eindruck hervorrufen möchte. Hruza schreibt, wie Loserth, er will mich von allem unterrichten, nirgends aber mit seiner eigenen Person hervortreten, was ich ihm wohl verzeihe, denn wenn ich mich recht erinnere, so ist er zu aller Überraschung plötzlich Professor geworden (Dies theile ich bajo toda reserva mit).

Das eine nur thut mir leid, dass weder Müller, noch Scherzer2, noch Loserth für mich direct an jemanden sich wandten. Ich bin ja kein eingebildeter in Größenwahn gewiegter Mensch, die Herren hätten ja ruhig sagen können: "Mir ist es nicht möglich für Sie einzutreten" y basta. Ich muss bemerken, dass Müller, Scherzer und insbesondere der + Hochstetter3 seit jeher in mich drangen (beinahe in jedem Briefe) ich sollte nach höherem trachten, ich wäre wert auf einer Universitaet als Professor zu tradieren, also könnten Sie doch für mich auch das Schwert ziehen. Scherzer|3| schreibt ja auf die mir geschickten Karten: er empfehle mich

"als einen ebenso tüchtigen als fleißigen u. gewissenhaften geographischen Forscher" und schreibt mir nachträglich ich solle überall bemerken, dass er bereit wäre, speciell über mich zu referieren. Einen Ambitus aber mache ich nicht, selbst wenn bis Weihnachten mein rechter aufgeschundener Fuß so weit hergestellt wäre, dass ich die "Batschkoren"4 mit Stiefeln vertauschen könnte.

Wenn Sie also ein Übersenden der Karten (es ließe sich ja mit Hinweis auf mein Leiden eine gentlemanlike Form finden) für unstatthaft halten, so hebe ich sie mir als ein Andenken auf[.]

Dass so viele sich um Czernowitz bewerben, nimmt mich Wunder, besonders was die in Wien befindlichen Herren betrifft, ich glaubte die würden nach Prag streben. Dadurch werde ich natürlich gedrückt, übrigens als ein in Bezug auf die Zukunft immer pessimistisch gesinnter Mann, wird ein Durchfall mich nicht enttäuschen, sondern nur meine schmerzliche Resignation auf eine bessere Zukunft zur Folge haben. Denn wenn ich nicht nach Czernowitz komme, muss |4| ich bis zum J. 1907 (wenn ich's erlebe) Schülertheken corrigieren. Ich habe also keine Illusionen!

Sonst habe ich nichts zu berichten. Ich übersetze einen Artikel Pardo's, welcher sich mit den medicinischen Kenntnissen der Eingeborenen Luzons beschäftigt5 und viel neues u. interessantes enthält. Wenn meine Augen mich nicht im Stiche lassen, so werde ich im Frühling eine große Karte des Valle de Cagayán entwerfen. Das Materiale hiezu hätte ich schon beisammen.

Leben Sie wohl und seien Sie herzlich gegrüsst

von Ihrem treu ergebenen

F. Blumentritt


1 Johann Loserth (1846-1936), österreichischer Historiker. 1875-1893 Professor für allgemeine Geschichte in Czernowitz, danach in Graz bis 1917. (Im Nachlass Schuchardts existieren fünf Briefe Loserths ( Briefe Nr. 06645-06649), allerdings erst aus dessen Grazer Zeit.)

2 Vermutlich: Carl Ritter von Scherzer (1821-1903), österreichischer Forschungsreisender und Diplomat. (Im Nachlass Schuchardts existiert ein Brief Scherzers zum Pidgin Englisch von 1881 ( Brief Nr. 10039).

3 Christian Gottlob Ferdinand Ritter von Hochstetter (1829-1884), deutscher Geograph, Geologe und Entdecker. Professor und Leiter des Naturhistorischen Museums in Wien.

4 Filzhausschuhe (s. Zeichnung im Brief 1108).

5 Pardo de Tavera, T. (1884). La Medicine a l'Île de Lucon

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