Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (089-01126)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

06. 01. 1885

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachkontakt (allgemein) Politik [Periodikum] Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Vorträge zu Prag Publikationsversandlanguage Küchendeutschlanguage Slawische Sprachenlanguage Deutschlanguage Tschechisch Schuchardt, Hugo (1884) Schuchardt, Hugo (1884) Schuchardt, Hugo (1886) Schuchardt, Hugo (1883) Díaz de Castillo, Bernal (1632) Blumentritt, Ferdinand (1883)

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (089-01126). Leitmeritz, 06. 01. 1885. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.721, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.721.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


|1|

Leitmeritz, 6. Jan. 1885

Verehrter Freund!

Ihre Abhandlung1 hat mich mächtig gefesselt, ich habe sie heut Nachmittag in einem Zuge gelesen und bedaure nur, dass Sie, wie [ich] auch einer Stelle entnehmen kann, keine weitere Ergänzung des hier gebotenen zu bringen gedenken. Schon bei diesem ersten, naturgemäß hastigem, Lesen fiel mir so manches auf, was ich Ihnen noch berichten könnte.2 Wenn Sie daher jemals so etwas zu thun beabsichtigen, sagen oder schreiben Sie es mir, bei Zeiten aber, es dürfte manches brauchbare sich finden. Manches was ich Ihnen früher einschicken wollte, unterdrückte ich aus Furcht Ihnen gut deutsches als Küchendeutsch zu senden und so mich zu blamieren. Ich bin überhaupt in dieser Beziehung sehr ängstlich, nicht etwa aus Eitelkeit, als ob ich fehlerfreies nur producieren oder schreiben wollte, so chiflado bin ich nicht, wohl aber habe ich eine große Furcht arrogant zu erscheinen und mit etwas zu prunken oder etwas zu liefern was hohl ist, dass am Ende man mir nachsagen könnte, der Einfaltspinsel drängt sich mit etwas vor, was er |2| nicht einmal versteht oder was falsch ist. Ich glaube die bescheidenen Erfolge, welche meine ethnogr. kartogr. Arbeiten über die Philippinen erzielten, danke ich vor allem anderen meinem Mangel an Selbstvertrauen und dem Zweifel an allem, was ich arbeite: 2/3 von dem was ich zusammengebracht oder erdacht habe, werfe ich beim Reinschreiben über Bord, was ich oft später tief bereue. Sie werden wohl das nicht gelten lassen wollen, wie Sie ja mir angedeutet haben, dass ich aus dem Vocabular füglich Pare = Padre hätte weglassen können, weil in einigen Gegenden Spaniens (Andalusien), jenes Wort ebenso ausgesprochen würde.3 Das wusste ich schon von meiner Großtante, als ich Bernal Diaz's4 Beschreibung von Cortés' Zügen las, ich nahm es erst nach langem Zögern auf, als ich bei den spanischen Autoren jenes Pare hinten unter den modismos aufgeführt fand, ich dachte mir, wenn die Spanier es für nöthig finden, dies Wort dem Register einzuverleiben, warum sollte ich es nicht thun? So habe ich denn auch manches Ihnen aus zaghafter Furcht nicht mitgetheilt und in der That, ich erschrak, als ich sah, wie vieles vom Küchendeutsch oder vielmehr vom Slawischen sich auch in meiner Umgangssprache noch befindet, so sehr ich mich bemühe richtig zu sprechen.

|3|

Was die Redensart auf den Smichow gehn5 anbelangt, so ist es bemerkenswert, dass unmittelbar an Smichow ein Dorf mit dem ähnlich klingenden Namen Slichow sich befindet. Nun wird es keinem Prager Deutschen auch im Traume nur einfallen zu sagen: ich gehe auf den Slichow, da würde ihn jedermann auslachen, während auf den Smichow bei allen Pragern gesagt wird (das sprachrichtige würde dem richtigen Prager sogar auffallen und affectiert klingen). Es darf eben nicht vergessen werden, dass Smichow im Prager Deutsch nie ohne Artikel steht: man sagt "der S. hat viele Fabriken", "am (sic) Smichow wohnen viele Juden (doch hier schon nicht so anstößig zu sagen: in Smichow)", ähnlich werden die Stadttheile: Strahow, Augezd, Hradschin, Wischehrad (wenigstens im Nominativ) nur mit dem Artikel gebraucht, während bei Bubna und Bubentsch dies nie der Fall ist.

Von den Schlussbetrachtungen kann ich sagen, dass sie mich förmlich berauschten, als kalter Tusch kam aber Ihre Bemerkung, dass die "Politik" gemäßigt wäre6. Verehrter Freund, ich bin kein Heißsporn und Ultra, aber ein so freches und ordinäres Schandblatt gibt es kaum bei uns in Böhmen wie jenes, darüber könnte ich Ihnen eine Broschüre schreiben!

|4|

Über die Verschiebung der Sprachgrenzen schrieb ich eine kleine Skizze, welche der "Verein zur Verbreitung gemeinnütziger Vorträge zu Prag" drucken ließ (glaube Nr 89)7 ich werde Ihnen den follito senden8, nicht weil etwas bedeutendes drin stünde, sondern weil ich mit Ihnen da in hac re überein stimme.

Also besten Dank für Ihre schöne Neujahrsgabe. Seien Sie herzlichst gegrüßt

von

Ihrem dankbaren

F. Blumentritt


1 Schuchardt (1884a). Das Manuskript hat Schuchardt an Neujahr 1885 abgeschlossen.

2 Tatsächlich veröffentlicht Schuchardt noch zwei Ergänzungen (1884b und 1886). In Schuchardt (1886) fließen viele Anmerkungen Blumentritts ein.

3 Schuchardt weist darauf auch in ( 1883a: 317) hin.

4 Bernal Diaz de Castillo (1492 oder 1493-1581) spanischer Conquistador, Verfasser eines Berichts über die Eroberung Mexikos unter Hernán Cortés (1632): Historia verdadera de la conquista de la Nueva España.

5 S. Schuchardt (1884a: 115).

6 „…in einem Organ das sich so gemässigter, fast priesterlicher Gesinnung befleissigt wie die „Politik“, …“ (Schuchardt 1884a: 139).

7 Blumentritt (1883a).

8 Diese Schrift konnte in Schuchardts Nachlass nicht ausfindig gemacht werden.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01126)