Wendelin Förster an Hugo Schuchardt (09-03100)

von Wendelin Förster

an Hugo Schuchardt

Bonn

01. 05. 1905

language Deutsch

Zitiervorschlag: Wendelin Förster an Hugo Schuchardt (09-03100). Bonn, 01. 05. 1905. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7108, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7108.


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Bonn 1. Mai 5.

Verehrter Herr Kollege,

ich habe eben Ihre wunderbare Prunkfestschrift durchgeflogen u. wie immer reiche Belehrung u. noch mehr Anregung erhalten.1 In dieser Hinsicht weiß niemand so mit reichem Wurf stets neue u. verschiedene Samenkörner hinauszuwerfen. Meinen besten Dank! Daß Sie auch ein Stück Romanentum in sich haben, zeigt das Monumentale, Großartige, über gewöhnliche, auf große Verhältnisse sich hinauswagende Format, das schon eine frühere Festschrift, wenn auch nicht in dem jetzigen Colisseo-Stil darbot.2 So imponierte mir am meisten, als ich zuerst nach Italien kam, deren große Riesen-

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bauten auch bei einem bloßen Municipio u. einer Prefettura, was bei uns königsgelöst nicht so groß geraten. Es ist ein Rest der altrömischen Megalomanie.

Ob Sie nicht manchen Fachgenossen Unrecht tun, daß dieselben nur am Laut haften und sich die Sachen nicht ansehen wollen? Ich habe es an mir selbst erfahren. Sie wissen, daß ich auch zuletzt einmal auf Ihren Pfaden gewandelt bin mit meinem Pflug in Frankreich.3 Die Lust dazu, der volle Wille hat bei mir nie gefehlt, dagegen die Zeit immer, u. noch mehr die Mittel. Wer nicht so Grand Seigneur ist wie Sie, unabhängig in jeder Hinsicht, padrone assoluto seiner Zeit, seiner Arbeit, seines Lebens, kann derlei nicht machen. Hundert Zentnergewichte liegen auf

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ihm, nehmen ihm Atem, lassen ihn nicht vorwärts gehen. Die tägliche Tretmühle für jemand, der gern, viel u leicht arbeitet, ist E. Schreckliches. Und wenn es nur das Seminar wäre! Das ist ja der einzige Lichtpunkt in unserer Dozententätigkeit – da lernt man stets u. findet noch mehr, stündlich fast. Aber dann das Kollg, die Anfängersachen, ewige crambe recocta!4 Und Examinieren u. Seminararbeiten – man wird des Lebens nie froh. So lange ich noch 14, dann 12, 10 Stunden täglich arbeiten konnte, da ging’s noch. Allein – das ist die Gemeinheit des Schicksals, daß es gerade die Arbeitsfreudigsten am schwersten heimzusuchen pflegt – stets zunehmende Kränklichkeit hat mich auf 6, u. weniger St. gebracht. Was bleibt dann Einem für

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eigene Arbeit?

Und dieser Grand Seigneur waren Sie ja immer, nicht erst seit Ihrer Emeritirung. Ich freilich zieh auf immer den Karren – 3 mitgiftlose Töchter erlauben mir nicht, die drückende Last abzutragen; u. habe das Gefühl, als Omnibuspferd ziehen zu müssen, während ich in mir die Kraft u. die Lust fühle, in freier Bahn, ohne Ballast mich mit Jedem messen zu wollen Ich werde aber in der Deichsel fallen.

Nochmals Dank u. beste Grüsse

Ihres

Treu ergebenen
WFoerster


1 Schuchardt, Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia , Graz: Leuschner & Lubensky: 1905.

2 Schuchardt, Dem Herrn Franz von Miklosich zum 20. November 1883. Slawo-deutsches und Slawo-italienisches, Graz: Leuschner & Lubensky, 1884.

3 Foerster, „Der Pflug in Frankreich und Vers 296 in Karl des Großen Wallfahrt nach Jerusalem“, ZrP 29, 1905, 1-18; „Kleinere Nachträge zu Zeitschrift XXIX 1ff.“, ebd., 232ff. u. 384.

4 „aufgewärmter Kohl, abgedroschenes Zeug“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03100)