Julius Cornu an Hugo Schuchardt (050-01759)

von Julius Cornu

an Hugo Schuchardt

Türmitz

02. 01. 1889

language Deutsch

Schlagwörter: Etymologielanguage Romanische Sprachenlanguage Italienischlanguage Spanisch Schuchardt, Hugo (1888) Cornu, Julius (1887)

Zitiervorschlag: Julius Cornu an Hugo Schuchardt (050-01759). Türmitz, 02. 01. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann und Katrin Purgay (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7099, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7099.


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Staditz bei Türmitz
den 2. Januar 1889.

Lieber Freund,

Seitdem Sie mir Ihren Artikel über andare mitgetheilt haben1 (der erst einige Tage vor Neujahr mit dem Juliheft der Romania in meine Hände kam), glaube ich Einiges von Bedeutung zur Erklärung von andarambularegefunden oder erkannt zu haben. Wenn Sie mit meinem neuen Versuche einverstanden sind, welcher den Ihrigen zur Grundlage hat, so werde ich denselben irgendwo bekannt machen. Sie haben vollkommen Recht zu sagen: „Si un deus ex machina déchirait le voile qui enveloppe les origines de andare etc, nous posséderions quelques exemples de phénomènes d’ailleurs bien connus“.

|2| Ihre Entwickelung der romanischen Formen aus ambulare will mir aber nicht gefallen. Das sagte ich Ihnen schon im Frühjahr und wiederhole es heute. Ambita oder ambitare würde irgendwo sein t erhalten haben. Was von enatare gesagt wurde (WM.),2 gilt um so mehr von ambitare.

Wenn ich Sie daran erinnere, dass amylumit.amido lautet, dass amidonsp.almidon auf amylum als gelehrtes Wort zurückgeht, so will ich nicht darauf die Entwicklung von andar gründen. Auf andere bessere Beispiele muss sich die Beweisführung stützen. Wenn ich nun an colonda columna (d. Rolandslied hat bekanntlich colombe für columna) der romanischen Schweiz denke, wenn ich an die spanischen Formen címbano und gámbano für címbalo und gámbalo erinnere, wenn ich |3| ferner das it.lámpana für lampada anführe, so ergeben diese sämmtlichen Beispiele die Möglichkeit andare aus ambulare auf lautlichem Wege zu entwickeln. Die Sprünge, welche nach Ihrer Ansicht meine Erklärung unmöglich machten, fehlen auch nicht in derjenigen, welche Sie versuchen. Stützt man sich auf colonda allein, so kommt man auf andare auf folgendem Wege. ambula wird zu *ambuna * ambina, welche Formen gewiss ohne Weiteres dürfen angenommen werden, daraus entsteht ambna, woraus amna einerseits. Für ambna kann aber sehr wohl ambda dissimilativ gesagt worden sein, woraus ohne Schwierigkeit anda entsteht. Vielleicht ist aber eine andere Grundlage anzunehmen, welche noch annar zu erklären erlaubt, ohne an inde andare und andare inde zu denken: ambna könnte zu |4|ambdna geworden sein, welche Form nur ein kurzes Dasein gehabt haben wird; daraus würde a) durch dissimilirenden Ausfall des n ambdare andare entstehen, b) durch Ausfall des b andna, woraus gut annar und franz. aller, welches von annar nicht getrennt werden darf.

Wenn ich nun versuche colonda meiner Heimath und colombe des Rolandsliedes auf columna zurückzuführen, so finde ich folgendes Ergebniss: columna wurde zu columbna, welches in der Schreibung columpna zu erkennen ist, dann zu columbdna, woraus einerseits columbda colonda, andererseits colombe entsteht.

Vielleicht ziehen Sie vor, wenn meine Ausführungen Sie überzeugt haben, Ihren Artikel selbst mit einem andern Schlusse zu versehen.3 Sie können darüber frei verfügen, da sie mir die Veranlassung gegeben haben neue Bausteine zu suchen.

Mit herzlichen Grüssen

Ihr ergebener

J. Cornu


1 Schuchardt, „Andare etc.“, Romania 17, 1888, 417-421 (mit Hinweis auf Cornu S. 417, 418f., 419). Vgl. bereits zuvor Cornu, „Andare, andar, annar, aller“, Romania 16, 1887, 560-564 und danach „ Ambulare “, Romania 19, 283-288 (dort die Verweise auf alle zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Arbeiten zum Thema). Die Red. vermerkt in Anm. 1 des zuletzt genannten Artikels: „Nous devons faire remarquer que la Romania réserve encore son opinion sur la question de l’origine d’andare, etc.; mais, comme l‘a fort bien dit H. Schuchardt, ,tous les efforts si variés et redoublés qui visent depuis longtemps à la solution de ce problème, même sans y arriver, sont à comparer au travail acharné des trois fils dans la vigne que leur père leur avait laissée en leur disant qu’il y avait caché un trésor‘. L’article qu’on va lire, notamment, contient des observations qui auront toujours leur valeur, quelle que doive être un jour la solution définitive de la question qui leur a donné naissance“.

2 ZrP 12, 1888, 283 .

3 Wie es zu Eingang des Briefes heißt, liegt der Artikel Schuchardts bereits gedruckt vor. Wie ist also diese Bemerkung zu verstehen? Soll er einen weiteren Artikel verfassen und sich auf den vorliegenden Brief beziehen?

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01759)