Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (080-01117)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

02. 11. 1884

language Deutsch

Schlagwörter: Politik- und Zeitgeschichte Sprachkontakt (allgemein)language Tschechisch

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (080-01117). Leitmeritz, 02. 11. 1884. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.709, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.709.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


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Leitmeritz, 2. Nov. 1884

Verehrter Freund!

In Theresienstadt lag bis zum J. 1866 regelmäßig ein italienisches und ein ungarisches Inf Reg, ich kann Ihnen selbe nach ihren Ergänzungsbezirken nennen:

von 1859-66 3 Haugwitz Nr. 37 ErgBez. Monselice (bei Padua)

" 1857-59 Albrecht Nr. 44 " (damals:) Mailand

von dem ein lombardisches Regiment mit schwefelgelben Aufschlägen Nr. 16, das später in Treviso sich ergänzte. Die italienischen Officiere haben hier viele Weibsen heimgeführt, ich kenne allein 2 Majore (Valguni e Vitali), die jetzt hier wohnen u. einen Hptm. Marchese Malaspina. Auch Feldwebel haben hier geheiratet und sich niedergelassen, jedoch das meiste haben die Italiener in der Schwängerung lediger Weiber geleistet, man sieht in der That in jenem Lustviertel Fischerei genug Leute mit frappant italienischer Gesichtsbildung (sei es die schwarze, sei es die rothe Complexion) herumlaufen.

Was die ungarischen Regimenter anbelangt so kann ich vorläufig nur zwei Ihnen nennen

Nr. 25 Baron Mamula Wbezirk Losonez (Slowaken Magyaren)

Nr. 71 Br. Roßbacher " Trenčin (Slowaken)

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In Prag lagen 1860-1866 Reg. Sigismund (Verona), Reg. Preußen (ungarisch), ein ungarisches in Szolnok sich ergänzendes Reg., ein dritts Reg. Gyulai und von 1864-66 ein polnisches (Martini, Bezirk Lemberg). In den 50ger Jahren überwogen die italienischen Regimenter (In alten Mil. Schemetismen dürften Sie genauere Daten finden).

Wie Stummel oder Prime im čechischen heißt weiß ich nicht, werde mich aber erkundigen 1, das eine weiß ich nur, dass die vor dem deutschen Theater in Prag lungernden Strolche die rauchenden Theaterbesucher, um die Stummel mit folgenden Worten anbettelten: "Mlady pane daj mi (oder mě?) jejich cigarko" 2 (meine Orthographie im čech. ist unter aller Kritik) d.h. also sie nannten den Stummel ein "Cigarrchen". Warf aber jemand seinen Stummel einfach weg, so machten sich diese Kerle darauf aufmerksam: Konkñi, tam letí baga (Sieh, dort fliegt ein Stummel), um sich dann um die saftige Beute zu balgen.

In Theresienstadt (das eigentlich nur aus Kasernen u. Bordellen besteht (nur nicht weitersagen!)) selbst wird von den Gassenjungen der Tabak bago genannt, ob nebenbei auch tschick gesagt wird, muss ich erst erkunden.

Gocksch ist ein Spiel, wobei ein Bube ausgezählt wird, den dann die andern einzufangen suchen.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr getreuer

F. Blumentritt

Meine Dienstmagd sagt, Stummel hieße: Nedokuřek3] d.h. nach meinem Sprachgefühl soviel als: Was nicht zu Ende geraucht wird oder werden kann. Bezweifle dies.


1 S. Briefe Nr. 1119 und 1123.

2 „Junger Herr, gib mir derer Zigarette.“

3 nedokuřek ist eine sehr transparente Konstruktion: kouřit „rauchen“, do- „bis, fertig“, ne- NEG. Eine ad hoc-Bildung, wie Blumentritt in Brief Nr. 1118 annimmt ist also durchaus wahrscheinlich.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01117)