Julius Cornu an Hugo Schuchardt (032-01741)

von Julius Cornu

an Hugo Schuchardt

Prag

01. 04. 1884

language Deutsch

Schlagwörter: Verb Etymologielanguage Novilatinlanguage Spanischlanguage Portugiesisch Socin, Adolf Diez, Friedrich Schuchardt, Hugo (1884) Schuchardt, Hugo (1867)

Zitiervorschlag: Julius Cornu an Hugo Schuchardt (032-01741). Prag, 01. 04. 1884. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann und Katrin Purgay (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.7081, abgerufen am 08. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.7081.


|1|

Prag, den 1. April 1884.

Lieber Freund,

Mit einer ausserordentlichen Freude habe ich Ihre so inhaltsschwere Rezension der Abhandlung Mussafias zur Praesensbildung im Romanischen durchgelesen.1 Ich war im Begriffe Ihnen meine Freude, meine Bewunderung über Ihre überraschenden Erklärungen auszudrücken, als ich plötzlich von Prag auf einige Tage verreisen musste. Und so blieb ich einige Wochen meinen Dank schuldig. – Baptēar ist auch altsp..2 Aehnliche Übertragungen des Akzentes wie Col. 5 angedeutet ist, sind in den Mundarten von Waadt und Freiburg sehr häufig. Die dritte Conjugation scheint massgebend gewesen zu sein:

âmen = } vénden vendimus.

pârten = }

|2| Ich habe A. Socin3 über alerce4 gefragt, da Ihre Mittheilungen und Einwände mir keine Ruhe liessen. Es ist ein arabisches Wort.

In Ihrem so wohlwollenden Briefe schrieben Sie mir: „Vendió neben sintió, weil jenes ursprünglich ein e, kein i hinter dem d hatte“. Aber wie stimmt vendió und vendieron zu tinieblas? Es sollten diese Formen, wenn ich sie richtig deute, doch auch i haben, wenn die Diezsche Erklärung von tinieblas richtig wäre.

Denn vendió ist doch wohl vendie+o und vendieron ist vendĕderunt. Weder sintió noch sintieron können ursprünglich sein. Nach meiner Ansicht, „si je ne cherche pas midi à quatorze heures“, wäre die theoretische Conjugation dieser Verba die folgende:

vendi = vendĕdi sinti vendiestes

vendisti = vendɇdisti sintisti = vendiemos

vendieo = vendede+o sintíu vendieron.

vendiemos = vendedɨmus sintimos

vendestes = vendɇdistis sintistes

vendieron = vendĕderunt sintiron

|3| Unter dem Einflusse von vendi und von ähnlichen Zeitwörtern wurde conjugirt sintiósintiemossintiestessintieron. Der i Laut hat den ersten i hervorgebracht. Der Jotlaut hat ihn erhalten. Mit dieser Deutung stimmt das Port. gut überein. Aber tinieblas und die übrigen Beispiele? Das Gesetz, welches Diez aufgestellt hat, ist, wie ich glaube, unhaltbar. Aber was sagt Ihr Scharfsinn dazu? Denn Ihr Urtheil ist mir ungemein werthvoll.

Mit herzlichen Grüssen

Ihr ganz ergebener und für die mir durch Ihren Aufsatz gewordene Belehrung dankender

J Cornu


1 Schuchardt, „[Rez. von:] Mussafia, A., Zur Präsensbildung im Romanischen“, Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 5, 1884, 61-68.

2 Dazu Schuchardt in der Mussafia-Rez. Sp. 62.

3 Adolf Socin (1859-1904), Schweizer Germanist in Basel.

4 „Patagonische Zypresse“. Zusammenhang hier unklar! Das Wort kommt vor in Der Vokalismus des Vulgärlateins, S. 365, wo es heißt. „abab, abedul, alerce u.s.w. schimmert der arabische Artikel durch“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01741)