Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (079-01116)

von Ferdinand Blumentritt

an Hugo Schuchardt

Leitmeritz

29. 10. 1884

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Sprachkontaktphänomene Sprachprobe Zeitschrift für Erdkunde Kartographielanguage Deutsche Dialektelanguage Tschechischlanguage Spanisch (Philippinen) Schuchardt, Hugo (1884) Blumentritt, Ferdinand (1884)

Zitiervorschlag: Ferdinand Blumentritt an Hugo Schuchardt (079-01116). Leitmeritz, 29. 10. 1884. Hrsg. von Veronika Mattes (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.708, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.708.

Printedition: Mattes, Veronika (2010): "Sa Profesor Schuchardt munting alay ni F. Blumentritt": Die Briefe Ferdinand Blumentritts an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 74., S. 63-237.


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Leitmeritz, 29. Oct. 1884

Hochverehrter Freund!

Hoffe dass die Operation Ihnen wohlbekommen wird, ich selbst leide jetzt an Schlaflosigkeit, kann erst gegen Morgen einschlafen und da muss ich wieder aus den Federn heraus, um in die Schule zu eilen, doch geht es mir seit einigen Tagen besser. Was nun den Dubinesen1 Dialect anbelangt, so bildet er eine Specialitaet für sich, er ist der eigentliche Leitmeritzer, denn in den übrigen Stadttheilen ist die Bevölkerung eine mehr fluctuierende, daher auch manche Dubinesen-Ausdrücke geborenen Leitmeritzern unverständlich sind. Denselben Dialect hat die am Elbufer sich ausdehnende "Fischerei".

Der Name Dubina dürfte wohl vom čechischen dub Eiche abstammen (die heutige Dubina oder Rudolfsstraße füllt den ehemaligen Graben aus, welcher die ummauerte kgl. freie Stadt von dem Domberge (welcher der Jurisdiction der Dompröbste, später der Bischöfe unterlag) trennte, vielleicht war dort ein "Eichenbusch" (Leitmeritz war noch im vorigen Jahrhundert durch seine Lohgerbereien berühmt).

Plawak dürfte entschieden čechischen Ursprungs* sein = Schwimminstrument2

Goksch mir vorläufig unbekannt

Semmel, Bis, Terre dürfte lateinischen Ursprungs sein (semel, bis, ter), es ist ein Spiel mit einem Lederball.

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Uni-kupi ist, wenn ich mich nicht täusche, das Spiel "Kopf-Adler" (Eine Münze wird in die Höhe geworfen und gewettet, ob Revers-oder Aversseite beim auffallen liegen bleibt bz. sichtbar wird.[)]

Tschik ist mir auch ganz unklar, ob hier nicht ein Einfluss italienischer? (ungarischer?) Soldaten der nahen Garnison Theresienstadt sich geltend gemacht hat? In der Fischerei liegt nämlich das "Gänsebergel", wo die Soldatesten sich beim Ringelspiel etc. die Menscher aussucht.3

In Prag nennen die Schusterbuben etc. Cigarrenstummel: Băgă4, ich hörte einmal, dies wäre von den ungarischen Soldaten eingeführt worden.

In der Ztschft. f. Erdkde. ist meine Karte der Insel Mindanao erschienen5, ich habe selber (dazu Text) Ihnen noch nicht geschickt, da ich alle erhaltenen SA speciell den Ethnographen zusandte, doch nur nicht brumma, s'wird auch zu Ihnen kumma.

Für Ihre Studien dürfte ein Begleittext jener Karte von Interesse sein:

Bei den Tirurayes:

Casila = (Castila) Spanier

Fadi
Fadri
}
= Padre (Geistlicher)

Dioso = Dios

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Mit herzlichen Grüßen

Ihr getreuer

F. Blumentritt

* Schon die Aussprache Plăwāk ist rein čechisch

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[beigelegter Zeitungssausschnitt:][6

§ Erstickt. Am 11 d. M. spielte sich7 in Braunau der dreijährige Knabe des bei der Eisenbahn beschäftigten Arbeiters Gscheidlinger mit Bohnen. Nach Gepflogenheit der Kleinen, alles in den Mund zu nehmen, nahm das spielende Kind eine Hand voll Bohnen in den Mund; hiebei sind demselben einige Bohnen in die Luftröhre gerathen, woran es erstickte. Wieder eine Lehre für Mütter, bei Auswahl von Spielsachen die größte Vorsicht walten zu lassen.


1 Dubine: Stadtteil von Leitmeritz.

2 Tschech.: plav- „schwimm-“.

3 Dies gibt Schuchardt ausführlich wieder in (1884: 126/127).

4 S. Schuchardt (1884: 127).

5 Ferdinand Blumentritt (1884a). Die Insel Mindanao.

6 Wohl zum Beleg für reflexiv gebrauchte Verben (s. Brief Nr. 1108).

7 Das reflexiv gebrauchte Verb ist (vermutlich von Schuchardt) rot unterstrichen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01116)