Julius Cornu an Hugo Schuchardt (018-01727)
von Julius Cornu
an Hugo Schuchardt
26. 05. 1882
Deutsch
Schlagwörter: Phonetik Portugiesisch Coelho, Francisco Adolfo Coelho, Francisco Adolpho (1881)
Zitiervorschlag: Julius Cornu an Hugo Schuchardt (018-01727). Prag, 26. 05. 1882. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann und Katrin Purgay (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6998, abgerufen am 27. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6998.
Prag, Salmgasse 9, den 26. Mai 1882.
Werther Freund,
Ich beeile mich Ihr Schreiben vom 17. Mai zu beantworten, welches ich erst am letzten Sonntag erhielt, da ich auf einige Tage auf dem Lande war. Ich beeile mich, sage ich, weil ich erst heute die Zeit fand Coelho’s Dialectos1 nachzuschlagen. Vor kurzem habe ich nämlich ein neues Quartier bezogen und Sie wissen wohl aus Erfahrung, wie man bei einer solchen unerfreulichen Angelegenheit an allen Ecken und Enden zu thun hat.
Den Kopf habe ich mir über Ihre Fragen nicht zerbrochen, weil die Antworten darauf keine so schweren Probleme sind. Die Akzente sind dem port. Gebrauche angepasst, jedoch nicht consequent angewendet, wie Sie selbst richtig bemerken. Die Inconsequenz ist besonders |2| auffallend, S. 15 u. 16, wo Coelho einmal sábe und ein andermal sâbe schreibt.
ô in d ôs bedeutet einen geschlossenen o Laut. In fója ist o offen, und zwar auffallend offen, viel offener als im franz. porte zum Beispiel. In pôdêr (die Portugiesen sprechen puder2) ist ô geschlossen und ê ist gleichfalls geschlossen. In pêrdêr bedeutet ê zwei geschlossene e Laute. (Das Port. sagt pėrdêr, wobei der erste e Laut wie das franz. e muet klingt). prónóme scheint unregelmässig, ist es aber nicht, wenn man weiss, dass die Portugiesen vielfach die gelehrten Wörter, die im Lat. einen langen o Laut haben, mit offenem o aussprechen. Die lautgerechte Aussprache ist nôme mit einem geschlossenen o, man hört aber häufig nóme mit einem offenen o, was wohl sicher den Schulen zuzuschreiben ist, wo das Wort einen grossen Gebrauch hat. Mórrê hat einen offenen o Laut, während das Port. murrêr sagt. In dubída, cúra, uhú|3| sehe ich einzig und allein die Bezeichnung der Tonstelle. In den einsilbigen câ, flâ, stâ, pâ ist vielleicht ein anderer Vokal vorhanden als in bâ. Das Port. bezeichnet nämlich den hellen á (= fr. lac zum Beispiel) durch á: já lá vô (jam illac vado). In mátâ, pássâ ist wohl sicher anzunehmen, dass die beiden a der Qualität nach identisch sind, d.h. dass sie beide hell klingen, und dass der letzte den Akzent trägt. Dagegen sagt das Port. maetar,3pa essar, mit dem gleichen a welches wir in casae und casa es haben. Ich möchte es das geschlossene oder dumpfe a nennen. Mit dieser Erklärung stimmt auch die Schreibung más (magis) S. 5. port. maes.
Ich glaube Ihre Fragen beantwortet zu haben. Wenn Sie meinen, ich könne Ihnen noch irgend etwas aufklären, theilen Sie mir es mit. Mein bescheidenes Wissen steht Ihnen ja zur Verfügung.
Ihr günstiges Urtheil über meine port. Studien4 hat mich herzlich gefreut. Möchte ich dieselben nur bald fortsetzen können!
Seu de Coração,
J. Cornu
1 Francisco Adolfo Coelho, Os dialectos romanicos ou neo-latinos na Africa, Asia e America, Lisboa: Casa da Sociedade de Geographia, 1881.
2 Mit einem kleinen v unter dem e.
3 Im Original ist das Minuskel-e unmittelbar über das a gesetzt!
4 Vermutlich brieflich.