Alois Pogatscher an Hugo Schuchardt (14-08902)
von Alois Pogatscher
an Hugo Schuchardt
07. 06. 1886
Deutsch
Schlagwörter: Altfranzösisch Altgriechisch Franz, Wilhelm Gröber, Gustav Richter, Eduard England Graz Italien
Zitiervorschlag: Alois Pogatscher an Hugo Schuchardt (14-08902). Straßburg, 07. 06. 1886. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6905, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6905.
Strassburg 7. Juni 1886.
Verehrter Herr Professor,
Ich bedaure, augenblicklich Niemanden nennen zu können, der im Stande wäre, eine entsprechende Anzeige zu schreiben; doch könnte ich ein bisschen bei meinen Bekannten in England Umfrage halten. Soll ich an Jemanden schreiben?
Die letzte Zeit war ich recht fleissig und bin merklich vorwärts gekommen. Die Arbeit über die Lehnwörter, über welcher ich, wie Sie wissen, jetzt brüte, ist in den allgemeinen Umrissen fertig; sie war weit schwieriger als ich anfangs gedacht hatte; ja hätte ich alle Schwierigkeiten voraussehen können, hätte ich vielleicht nicht Mut genug gehabt sie zu unternehmen. Nun bin ich aber froh, doch so mir nichts dir nichts dreingegriffen zu haben. Wenn sich meine Aufstellungen behaupten lassen, so hoffe ich brauchbares Material zur Chronologie der afrz. und ags. Lauterscheinungen beigebracht zu haben; auch für die Culturgeschichte dürfte mancher |2| nützliche, wenn auch nicht gerade bedeutende Baustein abgefallen sein. Schliesslich wird diese für nicht litterarische Perioden doch immer von der Sprachwissenschaft abhängig bleiben; die Datirungen der letzten sind meist sicherer und schärfer als historische Schlüsse.
Morgen will ich im englischen Seminar ein Capitel meiner Arbeit, nämlich über die Chronlogie der ags. Umlautserscheinungen, vorlegen1 und eine Debatte unterziehen lassen; die Sache ist insofern von Interesse, als sich der Umlaut in vorlitterarischer Zeit vollzogen hat und daher in seinem Verlaufe nur schwer zu verfolgen ist; doch mit Hilfe der Lehnwörter glaube ich für seine Hauptstadien nicht bloss relative, sondern absolute Zeitgrenzen feststellen zu können. Gelingt dies, so erhalten natürlich alle umliegenden relativen Datirungen der relativen Lauterscheinungen festen Halt.
Leider sind meine Kenntnisse im Romanischen unzureichend. Franz,2 der eine gleiche Arbeit für das and. Gebiet gemacht hat, war Romanist ex professo, und in der That stellt eine solche Arbeit mindestens gleiche Anforderungen an rom. wie an germ. Vorbilder. Doch Prof. Gröber ist mir |3| immer sehr gütig an die Hand gegangen. Er ist – was ich neben seiner eigenen Liebenswürdigkeit Ihrer freundlichen Empfehlung verdanke – ausserordentlich entgegenkommend und hat mir auch im persönlichen Verkehr vielfach Förderung zukommen lassen.
Es freut mich zu hören, dass die Universität einen brauchbaren Lector bekommen soll; auch sonst dürfte die Stadt Vortheil daraus ziehen, da seit Jahren kein tüchtiger Privatlehrer des Englischen in Graz war.3
Vor einigen Tagen erst habe ich erfahren, dass Prof. Richter4 nach Graz berufen wurde; er wird sich jetzt wohl glücklich schätzen.
Hoffentlich befinden Sie sich, verehrter Herr Professor, wohl. Haben Sie für die Ferien grössere Reisepläne vor? Ich denke auch bereits ans Wandern, doch weiss ich noch nicht recht, wohin ich gehen soll; ich hatte vor, nach England oder nach Italien zu gehen, wo ich mich mit altenglischen Texten beschäftigen wollte. Aber ich bin noch unentschlossen.
Mit dem Ausdruck meiner besonderen Hochachtung zeichne ich mich
Ergebenst
APogatscher
1 Vermutlich ist das Kap. „Zur Chonologie des i-Umlauts“ (S. 126-141) der Diss. Zur Lautlehre der griechischen, lateinischen und romanischen Lehnworte im Altenglischen) gemeint. – Pogatscher wurde auch von Gröber gefördert. Er schreibt Schuchardt am 10.6.1886: „Pogatscher will in der letzten Woche des Juli dem Colloquium sich unterziehen. Seine Arbeit, über die wir viel miteinander gesprochen haben ist zwar, wie er sagt, noch nicht abgeschlossen, bietet aber soviel Interessantes, daß sie für seinen nächsten Zweck mehr als ausreicht“ (HSA 062-04060).
2 Wilhelm Franz, Die lateinisch-romanischen Elemente im Althochdeutschen, Strassburg: Trübner, 1883.
3 Von 1877 bis 1886 hatte Adolf Oppler das Lektorat ausgefüllt. Fill / Kernbauer, 1993, nennen keinen Nachfolger.
4 Eduard Richter (1847-1905), seit 6.2.1886 Geographie-Ordinarius in Graz.