Alois Pogatscher an Hugo Schuchardt (12-08900)

von Alois Pogatscher

an Hugo Schuchardt

Straßburg

13. 01. 1886

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Lautwandel Sprachen in Österreich Rezension Zeitschrift für romanische Philologie Berufungenlanguage Langue bleue (Bolak)language Englischlanguage Deutsche Dialekte Gröber, Gustav Sweet, Henry Kluge, Friedrich Graz

Zitiervorschlag: Alois Pogatscher an Hugo Schuchardt (12-08900). Straßburg, 13. 01. 1886. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6903, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6903.


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Strassburg 13. Jänner 1886.
Burggasse 8

Verehrter Herr Professor,

Empfangen Sie meinen besten Dank für Ihre Schrift ,Über die Lautgesetze‘,1 die mir durch Prof. Gröber zugekommen ist. Ich habe aus ihr sehr viel gelernt und verdanke ihr eine Bekehrung von einem Wege, auf dem ich der Strömung der Gegenwart folgend, freilich ohne eigene Prüfung der Sache, für die meine Kenntnisse nicht ausgereicht hätten, gelangt bin. Das Schlagwort von den Gesetzen der Sprache hat ungemein viel Blendendes und Verführerisches, und seine Einfachheit hat ihm nur um so mehr den Stempel der Wahrheit scheinbar aufgedrückt. Bei einzelnen Sätzen der Junggrammatiker oder ihnen verwandter Forscher war es mir freilich auch nicht recht geheuer vorgekommen; allein ich schob die Schuld meinen mangelhaften Kenntnissen zu, die mir nicht die nötigen Mittelglieder zur Erkenntnis der Richtigkeit jener Sätze zu liefern schienen. Mit besonderer Freude las ich den ersten Satz p. 25, der mir ein lang gehegtes Bedenken ins Reine brachte.2 Dieser Satz steht in directem Gegensatze zu einem Lehrsatze Sweets,3 auf den er häufig zurückkommt und den er als Argument für seine Anschauungen ausbeutet. Bei ihm heisst es geradezu umgekehrt: |2| Häufig gebrauchte Wörter bewahren ihren alten Lautstand, seltener gebrauchte rücken vor. So steht in seiner (auch sonst flüchtig gearbeiteten) History of English Sounds (Trans. Phil. Soc. 1873/74 p. 538): The mystery of the pronunciation of the, thon (bezüglich des stimmhaften th) is now solved: these words are archaisms, preserved unchanged by the frequency of their occurrence. Ebenso erklärt er ib. die tönende Aussprache der Schlussconsonanten von of, twelve, with = ov, twelv, wið als vocality … evidently preserved like that, (thus, then, than etc.) by their excessive frequency. Ich war über diese Erklärung betroffen, wusste mich aber nicht recht dagegen zu wehren. In schroffstem Gegensatze dazu steht nun freilich folgende Erscheinung, die ihn aber nicht störte. Germ. ă erscheint vor m, n im älteren Ags. als a; im Zeitalter Alfreds d. Gr. verändert es sich in der genannten Stellung zu o, und da bemerkt nun Sweet selbst (King Alfred’s West-Saxon Version of Gregory’s Pastoral Care, Introd. p. XXII):4 The general rule seems to be that the commonest words have o, the rarer a, also Vorschreiten der häufigen, Zurückbleiben der seltenen. Diese Angabe bestätigt Cosijn, der in seiner Altwestsächsischen Grammatik5 die Fälle mit peinlicher Genauigkeit statistisch untersucht hat. Aber auf derselben Seite, wo Sweet diese richtige Anschauung vorträgt, gibt er wieder an, dass die praep. on ihr alts o statt a beibehalten hat (die anderen Wörter kehren im 10. Jahrh. wieder zum a zurück) ,owing to the very frequent occurrence of this word‘. In dem Bestreben, diese Angaben mit einander zu vereinen, geriet ich in Verwirrung, die Ihre Auseinandersetzung wieder löst. Freilich beging ich dabei den Fehler, dass mir der Name Sweets mehr galt als der Augenschein der Thatsachen. |3| Freilich bleibt vieles dunkel. Warum behält on von den ältesten Zeiten bis auf heute sein o, während alle anderen, die ursprünglich -an- haben, nach der Stufe -on- wieder zu -an- zurückkehren? 1) land 2) lond 3) land. Interessant ist das Verhältnis von praep. of, die deutschem ab griech. ảπó entsprechend, seit jeher statt a o zeigt, obwol nicht der geringste lautliche Grund für o vorhanden ist oder war; könnte man nicht Einwirkung des begrifflich so nahe stehenden on annehmen, welches *af zu of wandelt? Und weil nun of nur durch Analogie entstanden sein mag, kann es nicht bei dem Rückgang des gesetzmässig aus a vor m, n entstandenen o zum ursprünglichen a eben deswegen auf der o-Stufe verharrt haben, weil es von allem Anfang an kein innerhalb der an-, am- Gruppe befindlicher Laut gewesen war? so dass es also von der neuen Bewegung nicht mit ergriffen wurde, weil auch für seine erste Veränderung kein lautgesetzlicher Grund vorgelegen hatte? Und wenn dem so ist, mag nun nicht of seinerseits wieder, der Gesellschaft zu Liebe, on von der Rückkehr zu an abgehalten haben? Als Dritter im Bunde steht from aus ursprüngl. fram, welches nach einigem Schwanken zwischen a und o sich schliesslich als from festgesetzt hat.

Bei der Lectüre Ihrer höchst anregenden Schrift habe ich auch andere Schriften nachgesehen und auch von anderer Seite erwünschte Bestätigung gefunden. Die Bedeutung der begrifflichen Zusammengehörigkeit für den Lautwandel, von welcher Sie pp. 8, 25 sprechen, erläutert Kluge gut für die Suffixe in seiner jüngst erschienenen Schrift;6 so sagt er p. VIII: Ein Gesetz drängt sich überall in der Entwicklung von Wortbildungselementen hervor, das hier zum ersten Male in grösserem Umfange klar hervortritt, dass näml. ein Wort mit bestimmtem Suffix ein begriffliches, auch ein begriffsverwandtes ev. entgegengesetztes Wort nötigt, das gleiche Suffix anzunehmen; |4| auf diese Weise kann eine einzelne Bildung eine ganze Gruppe erzeugen; ebenso p. 1, 2, wo Belege. Doch bringe ich wol alte Neuigkeiten, wenn ich auf diese Schrift weise.

Ich weiss nicht, ob ich nicht schon einmal erwähnt habe, dass auch der bair.-öst. Dialect Umwandlung von s- zu h- kennt, freilich nur in wenigen Fällen; im Salzburgischen habe ich einzelne Fälle wiederholt gehört, es gibt ein Lied: Han (= san = sind) unser drei Brüada ,Wir sind unser 3 Br.‘ Vielleicht könnte man der Sache einmal nachgehn.

Ihre Schrift, verehrter Herr Professor, ist so anregend, dass ich mich nur schwer entschliessen kann, statt einzelnen Beobachtungen, auf die Sie hinweisen, nachzugehn, meinen alten Weg weiter zu gehen. Und das ist zum Theile das Unerquickliche meines gegenwärtigen Lebens; ich darf nirgends verweilen, nirgends tiefer eingehn, weil ich Masse machen muss. Und so wird es eigentlich noch längere Zeit fortgehn. Ich bin begierig die Recensionen zu lesen. Eigentlich ist nicht mehr viel zu sagen.

Gestern habe ich zu meinem Bedauern gehört, dass Prof. Gröber in der Zeitschrift die Recensionen eingehn lassen will, weil die Betheiligung der Mitarbeiter hieran sehr gering ist.7 – Ende Jänner soll der 1. Theil meiner Encyclopaedie erscheinen.8

Ist in Graz die Lehrkanzel für Geographie schon besetzt?9

Zum Schlusse spreche ich nochmal meinen besten Dank für das Vergnügen und die Belehrung aus, die Sie, verehrter Herr Professor, mir mit Ihrer Schrift zukommen liessen, und zeichne mich mit dem Ausdrucke meiner besonderen Hochachtung

ergebenst
APogatscher


1 Vgl. HSA 11-08899.

2 „Sehr selten gebrauchte Wörter bleiben zurück, sehr häufig gebrauchte eilen voran; von beiden Seiten also bilden sich Ausnahmen von den Lautgesetzen“.

3 Henry Sweet, A History of English Sounds From the Earliest Period with Full Word-Lists, Oxford: Clarendon Press, 1888.

4 Henry Sweet, King Alfred's West-Saxon version of Gregory's Pastoral care ; Regula pastoralis; with an english translation, the latin text, notes, and an introduction ; Gregory's pastoral care, London: Trübner, 1871.

5 P. J. Cosijn, Altwestsächsische Grammatik, Den Haag: Martinus Nijhoff, 1881-86.

6 Friedrich Kluge, Die germanische Consonantendehnung, Halle a. S.: Max Niemeyer, 1885.

7 Vgl. dazu Gröbers Brief (23.5.1886) an Hermann Suchier, in dem er die Frage der Weiterführung der ZrP ausführlich erörter; vgl. Gröber, Briefe aus den Jahren 1869 bis 1910, 2018, 137.

8 Pogatschers Schrift trägt die Widmung: „Herrn Professor Hugo Schuchardt in dankbarer Gesinnung gewidmet“. Auf S. X erfolgt der Dank an die Doktorväter B. ten Brink und G. Gröber „für die anregende Belehrung und wohlwollende Förderung, die sie meiner Arbeit und mir stets im reichsten Masse zu Teil werden liessen“.

9 Am 6.2.1886 wurde Eduard Richter (1847-1905) zum Grazer Geographieordinarius ernannt. Er war ein angesehener Gletschterforscher.

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