Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (114-03462)
von Theodor Gartner
an Hugo Schuchardt
22. 12. 1899
Deutsch
Schlagwörter: Universitätspolitik Biographisches Phonetik Ruthenisch
Italienisch Farinelli, Arturo
Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (114-03462). Innsbruck, 22. 12. 1899. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6845, abgerufen am 19. 05. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6845.
Verehrter Freund!
Am 7. October habe ich Czernowitz verlassen, seit dem 1. December bin ich hier (Innsbruck-Mühlau, 82) einigermaßen in Ordnung. Eine Übersiedlung mit Hindernissen. Die Einzelheiten werden Sie nicht interessieren. Meine ganze Correspondenz ist ins Stocken gerathen, eben bin ich im Begriffe, meine Briefschulden nach Möglichkeit zu tilgen. Da finde ich einen Brief von Ihnen (Pest, 2. Sept.) und frage mich entsetzt: Habe ich denn auch diesen Brief unerwidert gelassen? Zum mindesten habe ich ihn wohl nicht ordentlich beantwortet; denn ich erinnere mich nicht, über дobt, дotb geschrieben |2| zu haben. Ich bitte Sie inständig, mir meine Lässigkeit zu verzeihen und meinen wiederholten, oder verspäteten Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 2. Sept. entgegenzunehmen.
Der Wechsel von bt-tb ist mir im Ruth. unbekannt; wenn die Form дotb wirklich vorkommt, so wird sie sich kaum auf phonet. Wege erklären lassen.
Dass Sie sich mehr Freiheit verschaffen wollen, finde ich begreiflich; aber ich brauche nicht den Vorwurf der Schmeichelei zu fürchten, wenn ich Ihren Rücktritt aus dem Lehramte bedaure; Graz und Österreich verliert an Glanz. – Wo wollen Sie denn Ihren gewöhnlichen Wohnsitz aufschlagen?1 Hoffentlich bleiben Sie doch in Graz, |3| oder doch in Österreich.
Ich bin hier natürlich sehr zufrieden, trotz aller Schwierigkeiten, die sich der Übersiedlung entgegengestellt haben. Mit dem Collegen F.2 habe ich schon ein paarmal gesprochen. Er hat in der Fac. einen schweren Stand, doch hoffe ich, wie ich ihm auch gesagt habe, dass sich die Wellen ausgleichen werden. Ich habe ihm bisher insoferne genützt, als ich dem Vors. d. Prfgs.-Comm. vorgeschlagen habe, ihn zu den Prfgn. in Italienisch heranzuziehen. It. als Hauptf.: er und ich, It. als Nebenfach und als Unterr.-sprache: er, Franz.: ich. Die Comm. u. das Min. haben meinen Vorschlag angenommen. Mein Vorschlag war, glaube ich, objectiv correct, er war übrigens ein Compromiss zwischen der Stimmung im Collegium und meiner ursprünglichen Absicht, das Ital. ganz F. zu überlassen.
|4| Ich bitte Sie nochmals um Verzeihung und wünsche Ihnen Glück zum Eintritt ins Novecento.
Ihr
Gartner
Mühlau, 22. Dec. 99
1 Im Jahre 1900 zieht sich Schuchardt nach ausverhandelten 25 Dienstjahren von seiner Professur zurück und geht in Pension.
2 Arturo Farinelli, 1895 von Schuchardt habilitiert, wurde 1901 in Innsbruck wirklicher Extraordinarius, wurde aber drei Jahre später im Gefolge der anti-italienischen Unruhen beurlaubt und ging 1907 nach Turin. Vgl. den Briefwechsel Farinelli-Schuchardt ( 02875-3004), in dem Gartner immer wieder lobend erwähnt wird.