Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (129-S.255-258)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Gotha

24. 09. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Portugiesischsprachige Literatur Märchen Volksliteratur Pertsch, Wilhelm Coelho, Francisco Adolfo Weimar Halle Leipzig Wien Gotha Coelho, Francisco Adolpho (1879)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (129-S.255-258). Gotha, 24. 09. 1879. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6780, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6780.


|1|

Gotha 24 Sept. 79

Theurer Freund,

[S. 255-258]

Erst hier erhalte ich die traurige Mittheilung welche Sie mir nach Sevilla zugehen ließen.1 Empfangen Sie den Ausdruck meiner allerinnigsten Theilnahme, die Versicherung, dass ich der ich so glücklich bin meine Eltern noch zu besitzen vollständig den Schmerz eines Freundes begreife und nachfühle, der ein so guter Sohn und so an häusliches Leben gewöhnt wie Sie.

Ich hatte die Hoffnung gehegt, dass Sie vielleicht in gegenwärtiger Jahreszeit einmal hinüberkommen und |2| mich und Pertsch2 besuchen würden. Darauf muss wohl unter diesen Umständen verzichtet werden? Ich werde dies Mal leider nicht in Weimar vorsprechen können, da ich mich ein paar Stunden in Halle und Leipzig aufzuhalten gedenke und mir Prag und Wien einige Tage kosten werden.

In Lissabon habe ich natürlich Adolof Coelho3 besucht, welcher mir die als Buch erschienene Sammlung portugiesischerMärchen schenkte, die nun wohl auch Ihnen zugekommen sein wird.4 Meine Freunde in Sevilla würden sehr beglückt sein, wenn Sie ihnen die Auskunft über Räthselliteratur, um die sie gebeten haben, zukommen liessen. Sie haben die Absicht die Enciclopedia in eine Zeitschrift für andalusische Volkslitteratur zu verwandeln, was ich durchaus gut heisse und zu ermuthigen fortfahre. Als Sammler werden sie auch jetzt schon Nützliches leisten können und allmählich werden sie |3| sich, wenn sie mit der auswärtigen Litteratur bekannter geworden sind die Fähigkeit erwerben, Gediegeneres zu leisten. Wie schwach die Anfänge sind, in denen sie stecken, das fühlen sie grossentheils selbst.

Mit herzlichstem Grusse

Ihr treu ergebener

Hugo Schuchardt

Ich werde in den ersten Tagen des Oktober Gotha verlassen, ich finde sie aber in den Buchhändlerverzeichnissen nicht und möchte sie mir doch kommen lassen.


1 Nach dem Tod seines Vaters Ernst Friedrich Christoph (1788-1851), Diakon der Weimarer Stadtkirche, lebte der unverheiratete Reinhold Köhler in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter Auguste Caroline Ellise geb. Oschatz, die 1879 im Alter von 72 Jahren verstarb.

2 Vgl. seinen Brief vom 23.8.1865.

3 Francisco Adolfo Coelho (1847-1919), portug. Ethnograph und Philologe, vgl. HSA 01652-01684.

4 Contos populares portuguezes collegidos por Francisco Adolpho Coelho, Lissabon: Plantier 1879; vgl. Weimar, GSA 109/158 (Drei Briefe Coelhos an Köhler aus den Jahren 1880-1882).

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.255)