Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (128-S.250-251)

von Hugo Schuchardt

an Reinhold Köhler

Sevilla

31. 05. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Volksliteratur Märchen Volkslied Magazin für die Literatur des Auslandes Don Juanlanguage Italienischlanguage Griechischlanguage Französischlanguage Englisch Machado y Álvarez, Antonio Weimar Reinsberg-Düringsfeld, Ida von/Reinsberg-Düringsfeld, Otto von (1872–1875)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Reinhold Köhler (128-S.250-251). Sevilla, 31. 05. 1879. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6779, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6779.


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Sevilla, 31 Mai 1879

Lieber Freund!

[S. 251-253]

Besten Dank für ihren Brief!1 Ich habe die italienische und die griechische Lesart des Räthsels Don Antonio mitgeteilt und er wird dieselben wahrscheinlich demnächst in der Enciclopedia abdrucken.2 Er wird Ihnen vielleicht in der nächsten Zeit schreiben;3 seine Pfote ist, wie Ihnen ein dunkles Vorgefühl schon gesagt hat, eine gräuliche, er wird aber für eine kalligraphische Umschrift sorgen. Wenn Sie nicht aus germanischer Zurückhaltung, sondern deshalb zuerst einen Brief von ihm abwarten wollen, weil Sie nicht wissen, was er eigentlich beabsichtigt, so haben Sie mich nicht recht verstanden. Ich bitte Sie, sich aus dem geregelten Mechanismus des deutschen Gelehrtenverkehrs in südliche Gepflogenheit hineinzudenken, wo das Persönliche dem Sachlichen vorausgeht und Alles mit einigen allgemeinen Redensarten eingeleitet wird. Diesen jungen Leuten fehlt es an einem Kompass; sie besitzen einen wahren Feuereifer, aber sie müssen auf den rechten Weg geleitet werden. Auf der einen Seite liegt die Gefahr nahe, dass sie, mit der Volkslitteratur poetische und philosophische Spielereien zu treiben anfangen, auf der andern Seite wird schliesslich doch ihr Interesse an der Sache erkalten |2| wenn sie sehen, dass sie wenig Anklang finden. Denn das werden Sie sich wohl vorstellen können, dass manche oder vielleicht die Meisten Veröffentlichung von Märchen, Räthseln und anderen „Kindereien“ in einer Zeitschrift sehr wunderlich und unpassend finden. Wenn Sie es also über sich gewinnen könnten [und in Weimar werden Sie ja doch irgend eine Freundin haben, die Ihnen einige Zeilen in’s Französische oder Englische übersetzt – denn ich weiß aus Erfahrung sehr gut, dass es eine grosse Quälerei ist, einen Brief in einer fremden Sprache abzufassen, selbst wenn man dieselbe vollkommen versteht], an Machado zu schreiben, Sie hätten von mir gehört, dass er und seine Freunde sich mit dem Sammeln von Märchen, Räthseln und Volksliedern abgeben, Sie nähmen an diesen Bestrebungen grossen Antheil und würden gern dazu beitragen, sie zu fördern, Sie hätten insbesondere das Märchen von den tres adivinanzas gelesen und es hätte Sie sehr interessirt – so würde das einen sehr günstigen Einfluss haben, einen weit grössern, als Sie ahnen. Der Eifer dieser strebsamen Jugend würde gesteigert und gefestigt werden und in den Augen der Andern würden sie an Autorität gewinnen; denn deutsche Wissenschaft erfreut sich hier eines ausserordentlichen Ansehens. – Da in der Enciclopedia natürlich alles wie Kraut und Rüben durcheinander geht, so wird es schwer halten, den Austausch mit einer deutschen Zeitschrift zu bewirken. Die Redakteure hatten auf gut Glück an verschiedene deutsche Zeitschriften ersten Ranges, die ihnen nur dem Namen nach bekannt |3| waren ihre Bitte um Austausch gerichtet, und, wie sich leicht erklärt, keine Antwort erhalten. Ich habe ihnen das „Magazin für Litteratur des Auslands“ empfohlen. Ich werde sie veranlassen, alle diejenigen Nummern der Encicl. welche etwas von Vokslitteratur enthalten, Ihnen zu schicken; vielleicht haben Sie gelegentlich ihnen eine kleine Gegengabe zu senden. Es ist mir der Gedanke gekommen, ob man nicht überhaupt dann und wann einen Austausch spanischer und deutscher Bücher veranstalten könnte. Auf jeder Seite liegt so vieles überflüssig und werthlos herum, was auf der andern Seite höchst willkommen wäre. – Beiläufig, wissen Sie den Preis von Düringsfeld, Sprichwörterlexikon?4

– Wie nachlässig ich bin! Ich habe Schack Geschichte d. dram. Lit. Sp. bei mir und die Notiz über Tenorio in den Nachträgen war mir entgangen. Ganz selbständig war ich zur Überzeugung gekommen, dass das historische Vorbild Don Juan’s kein anderer als der reportero des rey justiciero sein könnte. Wäre es Ihnen möglich, mir mitzutheilen, was Ford in der Quarterly Review darüber sagt? Dass es viele Juan‘s in der Familie Tenorio gegeben habe, ist eine Äusserung, die mich einigermassen befremdet.5

Mit herzlichen Grüssen

Ihr ergebenster

H. Schuchardt

Plaza nueva 10

Wenn Sie spanische Handschrift lesen, vergessen Sie nicht, was F und Y bedeuten; man schreibt Fenorio, Yndia.


1 Brief 05715.

2 Vgl. Demófilo (Antonio Machado), Enigmas y adivinanzas en forma de diccionario, Halle / S.: Max Niemyer – Palermo: Luigi Pedone, Sevilla 1880, 308-309 : „Este parrentesco, esta analogía é insensible tránsito de unos géneros literarios á otros en las infinitas manifestationes de la literatura popular, nos movieron á rogar a nuestro querido amigo D. Francisoco Rodriguez Marín a que sacase á luz y vistiese con los encantos de su pluma el cuento de Las tres adivinanzas, que ponemos a continuación […] así como el señor Marín conocemos algunas variantes y que existe a no dudarlo en Grecia y en Italia, según lo comprueba la nota número 9, debida a una indicación que hizo el docto bibliotecario de Weimar, Herrn Reinhold Kohler [sic] a su ilustre amigo el distinguido profesor de Graz, Dr. Hugo Schuchardt, en carta no destinada a la publicidad, y de que este señor tuvo la bondad de darnos traslado“. Besagte Anm. 9 steht auf S. 315; die griech. umfasst drei, die ital. vier Zeilen [einige fehlende Akzente wurden nachgetragen, FRH].

3 Vgl. Weimar, GSA 109/503 (5 Briefe 1879-1883).

4 Ida von Düringsfeld u. Otto von Reinsberg-Düringsfeld, Sprichwörter der germanischen und romanischen Sprachen, Leipzig: Hermann Fried, 1872-75, 2 Bde.

5 The Quarterly Review 59, July & October 1837, 81-82.

Faksimiles: Die Verwendung dieses Exemplars im „Hugo Schuchardt Archiv” wurde von der Archivdatenbank des Goethe- und Schiller-Archivs gestattet. (Sig. S.250)